Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

12 Fritz van Calker, Rechtspolitik. 
1899. Derselbe, Gesetzgebungspolitik und Rechtsvergleichung. (In der Festschrift der Strassburger Rechts- 
und Staatswissenschaftlichen Fakultät für Paul Laband) Derselbe Vervollkommnungsidee und Entwick- 
lungsgedanke im Strafrecht; ir der Zeitschrift Bd. XXXH, (Festschrift für v. Liszt) S. 149 ff. S. insbes. auch 
die aus Anlass der Debatte über die „freie Rechtsfindung“ erschienene Literatur. 
I. Begriff und Aufgabe der Rechtspolitik. 
Die Rechtspolitik bildet einen Teil der Lehre vom Recht und zwar denjenigen, welcher dem 
Recht. wieesist, das Recht, wieessein soll, gegenüber stellt. Steht damit die Rechtspolitik 
ihrem Ziel nach dem ‚„Naturrecht‘‘ nahe, so unterscheidet sie sich von diesem doch inhaltlich in 
prinzipieller Weise: Die naturrechtliche Schule hat die Tendenz, aus der Natur des Menschen oder 
aus der Natur des Rechts Rechtssätze mit unwandelbarem Inhalt abzuleiten, die Aufgabe 
der Rechtspolitik dagegen kann nur die sein, in methodisch sicherer Weise Rechtsgedanken 
aufzuweisen und zu entwickeln. Denn, da die menschlichen Existenz- und Entwicklungsbedingun- 
ven, deren Regelung das Recht zu dienen bestimmt ist, nicht ewig gleich bleiben, sondern dauernd 
wechseln, müssen auch die einzelnen Sätze des Rechts ihrem Inhalt nach diesem Wechsel folgen. 
Es kann sich somit nur darum handeln, zu untersuchen und darzulegen, unter welchen gleichblei- 
benden Voraussetzungen eine konkrete Regelung als objektiv „richtig‘‘ bezeichnet werden kann. 
Das Ziel dieser Betrachtungsweise aber ist: an die Stelle nur gefühlmässiger Entscheidungen 
solche Entscheidungen zu setzen, welche mit verstandesmässig erfassbaren und kontrollierbaren 
Gründen gestützt werden können. 
HD. Methode und Grundlage der Rechispolitik. 
Die Beantwortung der Frage nach der objektiven Richtigkeit eines Rechtssatzes setzt die 
Aufweisung eines allgemein gültigen und obersten Gesichtspunktes voraus, von welchem aus dann 
:rst eine einheitliche Beurteilung aller Rechtsnormen möglich ist. Dieser Gesichtspunkt ist m. E. 
zegeben inderIdee der Vervollkommnung Aller als oberstem Ziel des Rechtes.!) 
Aus diesem Gesichtspunkt aber ergibt sich als regulatives Prinzip der Gemeinschaft die Idee der 
Gerechtigkeit. Die Aufgabe der Rechtspolitik besteht nun weiterhin darin, auf der hiermit gege- 
yenen Grundlage Rechtsgedanken im einzelnen zu entwickeln und diese zur Kritik des geltenden 
Rechts und der auf seine Abänderung etwa gerichteten Vorschläge zu verwerten. Und zwar besteht 
liese Aufgabe sowohl auf dem Gebiet der allgemeinen Rechtslehre, wie auf den einzelnen besonderen 
Rechtsgebieten. Die Aufgabe bleibt hier methodisch dieselbe, in ihrer inhaltlichen Lösung muss 
ie sich an die jeweils vorliegende Materie anschliessen. So lässt sich der Kunde von dem positiven 
Recht der einzelnen Gebiete stets eine entsprechende „Politik“ gegenüberstellen: dem Zivilrecht 
lie Zivilrechtspolitik („Zivilpolitik“: Petrazyceki), dem Strafrecht die Strafrechtspolitik usw. 
Eine solche Gegenüberstellung ist in den einzelnen Disziplinen heute zu sehr verschiedenen Stufen 
ler Entwicklung vorgeschritten. 
II. Rechtspolitik und Gesetzgebung. 
Die Rechtspolitik wendet sich in erster Linie an den Gesetzgeber. Sie fordert von 
hm vor allem eine Bereitstellung des Materials, das für die sachliche Beurteilung der zu regelnden 
Fragen notwendig und dienlich ist. Hierzu gehört insbesondere eine Aufklärung darüber, welche 
rwünschte oder unerwünschte Wirkungen sich aus dem geltenden Rechtszustand ergebeu haben, 
isch welcher Richtung folglich eine Beibehaltung oder Änderungder bisherigen Rechtsbesti g 
ingezeigt erscheint. Die kritische Beurteilung, die hier einsetzt, bedarf nun, um zu einer über nur 
') S. hierzu van Calker iin den oben zitierten Abhandlungen. Gegen die Idee der Vervollkommnung 
ls Bourteilungsprinzip des Rechts Stammler, Richtiges Recht, insbesondere S. 76 ff. und S. 199 ff. Wirt- 
chaft und Reoht. 2. Aufl. Anm. 237. Stammler anerkennt das Prinzip der Vervollkommnung für die Be- 
ırteilung innerhalb des Gebietes der sittlichen Lehre, während er als Beurteilungsprinzip für das Gebiet des Rechts
	        
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