Ernst Müller-Meiningen, Vereins- und Vorsammlungsrecht. 358
Im Polizeistaste des 18. Jahrhunderts fand diese Lehre trotz der freiheitlichen Lehre der
Verfassung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika von 1789 allgemeinen gesetzgeberischen
Ausdruck, ja sogar in England fand die bisherige freiheitliche Auffassung durch die Gesetze vom
Jahre 1795 und 1799 ihr vorläufiges Eude.
Das preussische Allgemeine Landrecht vom Jahre 1794 hatte sehr verklausulierte Bestim-
mungen in Teil I Tit. 17, $$ 169 ff. und Teil II Tit. 6. Dasselbe unterschied zwischen Gesellschaften,
die ausschliesslich auf einen Vermögensanteil ihrer Mitglieder gerichtet waren und den anderen.
Die letzteren sind, sofern ihr Zweck und ihre Tätigkeit der gemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung
nicht zuwiderlaufen, auch ohne Genehmigung erlaubt. Geheime Verbindungen bedürfen der Ge-
nehmigung. Aber der Staat hatte auch bezüglich der anderen das Recht der Auflösung, wenn sie
anderen gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich oder nachteilig sind. War der Verein
ausdrücklich genehmigt, so kann er nur aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls und gegen
hinlängliche Entschädigung aufgehoben werden, falls seine Mitglieder nicht eines groben Missbrauchs
der Genehmigung zum Schaden des Staats oder anderer Personen durch gerichtliches Erkenntnis
schuldig befurden worden sind. Diese an sich unklaren und bestrittenen sog. Freiheiten wurden
durch das Edikt vom 20. Okt. 1798 noch weiter beschnitten, das alle Vereine verbot, welche die
Beratung politischer Angelegenheiten bezweckten oder in welchen unbekannten Oberen Gehorsam
oder bekannten Oberen unbedipgter Gehorsam versprochen wird, sowie solche, deren Mitglieder
zur Verschwiegenheit über Vereinsangelegenheiten sich verpflichteten. In der Reaktionszeit
(1816) wird das Edikt auf die ganze preussische Monaıchie ausgedehnt. Das war bis zum Jahre
1848 der wesentliche Standpunkt iu fast allen deutschen Staaten — Baden, Württemberg und
Sachsen-Meiningen ausgenommen.
(Das bisherige Landesrecht sowie das Recht des Auslands, vor allem Frankreichs, Englands,
Österreichs usw. s. Staatswörterbuch 2. Aufl. Bd. VII den Aufsatz von Loening sowie insbesondere
des Verfassers Kommentar S. 321ff., 334—367ff.)
Der Beschluss des Bundestags vom 5. Juli 1832 verbot alle politischen Vereine; jede öffent-
liche Versammlung bedurfte der vorherigen Genehmigung. Die Grundrechte des deutschen Parla-
ments vom Jahre 1848 räumten mit dieser reaktionären Gesetzgebung vorläufig und vorübergehend
auf. Jeder Deutsche sollte das Recht haben, ohne vorherige Genehmigung sich friedlich und ohne
Waffen zu versammeln und Vereine zu bilden. Nur Volksversammlungen unter freiem Himmel
können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden (Art. 8;
Reichsverfassung von 1849 $$ 161 und 162).
Die seit dem Jahre 1848 erlassenen Verfassungsurkunden enthalten, in verschiedener For-
mulierung und mit verschiedenen Abänderungen, meist den im Artikel VII der Grundrechte des
deutschen Volkes ausgesprochenen Grundsatz der Vereins- und Versammlungsfreiheit. Die älteren
Veıeinsgesetze erkannten diesen Grundsatz in ihrer Mehrzabl ausdrücklich an, verfolgten daneben
aber den Zweck, einen Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts zu verhüten. In gleicher
Richtung suchte die deutsche Bundesversammlung durch Beschluss vom 13. Juli 1854 die Ein-
führung übereinstimmender Grundsätze für das Vereins- und Versammlungsrecht zu bewirken.
Diese Absicht wurde indessen nur unvollständig erreicht. In vielen Bundesstaaten blieb der
Bundesbeschluss unausgeführt, andere sivd von den bereits eingeführten Grundsätzen wieder zurück-
getreten, und selbst in denjenigen Staaten, deren Gesetzgebungen jene Grundsätze zur Richtschnur
genommen haben, stimmten die Einzelheiten nicht überein.
Bei einer so veıschiedenartigen Gestaltung des Rechtszustandes war das Bedürfnis einer
einheitliohen Regelung des Vereins- und Versammlungswesens nicht zu verkennen.
Die Versuche, das Vereins- und Versammlungswesen nach seiner öffentlichrechtlichen Seite
hin einheitlich für den Umfang des Reichs zu gestalten, hatten daher bald nach Gründung des neuen
deutschen Reichs eingesetzt.
Aus Anlass einer die mecklenburgischen Verhältnisse betreffenden Petition (Drucksachen
des deutschen Reichstages 1. Legislaturperiode, 111. Session 1872, Nr. 40) beschloss der Reichstag
(StenB. 1872 S. 289) auf Antrag der Kommission für Petitionen: