969 Franz Dochow, Freizügigkeit. nu
hendePerson abzuweisen, wenn sie nachweisen können, dassdiebetreffende Person nicht
hinreichende Kräfte besitzt, sich und ihren nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen
Lebensunterhalt zu verschaffen, und wenn sie ihn weder aus eigenem Vermögen bestreiten kann,
noch von einem dazu verpflichteten Verwandten erhält. Die Besorgnis vor künftiger Verarmung
berechtigt nicht zur Zurückweisung.) Ergibt sich nach dem Anzuge die Notwendigkeit einer öffent-
lichen Armenunterstützung!°), ehe der Anziehende den Unterstützungswohnsitz (Hei-
matrecht) erworben hat,ıt) so kann die Gemeinde die Fortsetzung des Aufenthalts versagen, wenn
sie nachweist, dass die Unterstützung nicht wegen einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit not-
wendig geworden ist. Hat der Anziehende aber den Unterstützungswohnsitz erworben, so kann die
Gemeinde ihn nicht mehr ausweisen, die öffentliche Armenpflege muss für ihn und die Seinigen
eintreten.
Ausländer sind im Gebiete des Deutschen Reiches nur geduldet und können, wenn sie
lästig fallen, ausgewiesen und nötigenfalls zwangsweise über die Grenze geschafft werden,*) auch
wenn sie einen Unterstützungswohnsitz erworben haben.t?)
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Rechtsentwicklung.'*)
I. Nach der Reichsverfassung Art. 3 besteht in ganz Deutschland ein gemeinsames Indigenat
mit der Wirkung, dass der Angehörige (Untertan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem
andern Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäss zum festen Wohnsitz, zum Ge-
werbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des
Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraus-
setzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechts-
schutzes demselben gleich zu behandeln ist. Diese Bestimmungen sind im wesentlichen unver-
ändert aus der Verfassung für den Norddeutschen Bund vom Jahre 1867 übernommen worden.
Dadurch, dass das Freizügigkeitsgesetz vom Jahre 1867 zum Reichsgesetz erklärt wurde, gelangten
im ganzen Deutschen Reiche Grundsätze zur Anwendung, die sich bereits in dem preussischen Ge-
setze vom Jahre 1842 finden,!®) wonach keinem selbständigen Untertan an einem Orte, wo er eine
% F.G.$ 4.
10) F.G.5$ 5.
1) Jeder Reichsdeutsche ist in bezug auf die Art und das Mass der im Falle der Hilfsbedürftigkeit zu ge-
währenden öffentlichen Unterstützung und auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes in jedem
Bundesstaste als Inländer zu betrachten. U.W.G. $ 1. — Eine Ausnahme macht Bayern, wo das U.W.G. noch
nicht eingeführt ist. Die Bayern sind daher Ausländer im Sinne des U.W.G.
Der Unterstützungswohnsitz wird erworben durch Aufenthalt, Verehelichung und Abstammung, und
zwar erwirbt den Unterstützungswohnsitz innerhalb eines Ortsarmenverbandes, wer nach zurückgelegtem sechs-
zehnten Lebensjahr ein Jahr lang ununterbrochen seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt hat. Der Unter-
stützungswohnsitz wird verloren durch Erwerbung eines anderweitigen Unterstützungswohnsitzes und nach ein-
jähriger ununterbrochener Abwesenheit nach zurückgelegtem sechszehnten Lebensjahre (U.W.G. $$ 9—27).
Ein Reichsdeutscher kann mehrere Staatsangehörigkeiten, sabernur einenÜUnter-
stützungswohnsitz besitzen.
12) Die mit den Niederlanden und der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsverträge gewähren den
Angehörigen dieser Staaten das Recht, sich im Deutschen Reiche niederzulassen, wenn sie die erforderlichen Aus-
weisungspapiere besitzen und die Gesetze und Verordnungen des Staates nicht übertreten. Da der Heimatsstast
das Recht hat, nachzuprüfen, ob bei etwaiger Ausweisung die Vertragsbestimmungen berücksichtigt eind, so ge-
währen die Niederlassungsverträge einen gewissen Schutz gegen willkürliche Ausweisungen. Meyer- Dochow*
5 237,
12) Hinsichtlich der vorläufigen Unterstützungspflicht sind hilfabedürftige Ausländer den Inländern
gleichgestellt. Sie behalten den z. B. nach preussischem Landesrecht erworbenen Unterstützungswohnsitz nur 60
lange, als ihnen der Aufenthalt im Inlande gestattet ist.
!4) Vgl. die geschichtlichen Angaben bei v. Frisch, Art. Stellung der Fremden.
15) Gesetz über die Aufnahme neunnziehender Personen vom 31. Dezember 1842,