Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Max Fleischmann, Die materielle Gesetzgebung. 275 
  
Etwas anderes ist es natürlich, wenn das Gesetz nur in einem räumlich beschränkten Um- 
fange Verhältnisse regeln will, wie dies früher bei wenig entwickeltem Verkehre und territorial 
herausgebildeter Rechtsverschiedenheit, in dem Zeitalter der Observanz, sich von selbst ergab; 
in dem absoluten Staate nicht selten auch zu dem Zweck geübt wurde, zunächst einmal innerbalb 
eines Gebietsteiles die Bewährung des Gesetzes auszuproben.?) Solch schrittweises Vorgehen kann 
von Wert sein und findet sich auch heut wieder, wie das Beispiel des Gesetzes vom 28. Juli 1902 
(Ges.S. S. 273) beweist, das die Umlegung von Grundstücken bloss in Frankfurt a. M. regelt, oder 
das allmäbliche Vorwärtsschieben der provinzialen Gesetzgebung über Wegerecht, Wasserrecht. 
Innerlich nahe steht dem eine Gesetzgebung, die an einem einzelnen Wirtschaftszweige abweichende 
Grundsätze zur Geltung zu bringen versucht (z. B. Kaligesetz vom 25. Mai 1910). 
3. Die Ordnung setztderhöchsteMachthaber, d. i. in der vorkonstitutionellen 
Zeit in den deutschen Monarchien der Landesherr. Unter recht verschiedenen Benennungen gibt 
eich das kund: als Gesetz oder Verordnung, Patent oder Publicandum, Kabinettsorder, Edikt, 
Reskript usw. Auch nur einigermassen feste Grundsätze in der Bezeichnung sind nicht häufig zu 
erkennen. Doch strebt schon der Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts innerhalb wie ausserhalb 
Deutschlands dahin, das „Gesetz“ für Anordnungen des Staatsoberhauptes vorzubehalten.!0) Die 
in der Zeit des Absolutismus beinahe ganz zurückgedrängte Mitwirkung der Bevölkerung machte 
sich zunächst wieder geltend, um eine massgebende Stimme bei finanzieller Belastung zu erheben 
(das Wort „droit‘“ hat den Doppelsinn von Recht und Geldauflage bis heute bewahrt); seit der 
französischen Staatsumwälzung setzte sie sich unter der Einwirkung der Ideen der Aufklärungszeit 
aus prinzipiellen Gründen durch, um der Bedeutung eines gesetzlichen Eingriffs willen. Oberster 
Machthaber wird der König im Parlament. Die gesetzgebende Gewalt steht über den andern 
Gewalten im Staate. 
a) Die Bedeutung des Gesetzesrechts im Unterschiede von dem auch ohne Satzung 
vorhandenen, durch die allgemeine Überzeugung getragenen oder doch in regelmässiger Betätigung 
und in der Anerkennung durch die Gerichte hervortretenden Rechtsbrauche liegt in seiner grösseren 
Bestimmtheit und damit in der Sicherheit für den Verkehr. Das Gesetz erschien als ein so grosser 
Fortschritt in der Bildung des Rechtes, dass eine ältere Zeit dem Gesetze nicht selten göttlichen 
Ursprung zuschreibt; die Künste huldigen dem Gesetzgeber. Und dieser Vorgang ist nicht 
in Zeit und Raum beschränkt; er wiederholt sich bei Völkern verschiedener Kulturstufe, 
besonders dann, wenn auf eine gesetzeslose oder rechtsschwache Zeit eine neue gesetzliche 
Ordnung folgte. Schon ein halbes Jahrtausend vor der Sinai-Gesetzgebung liess Hammurabi, 
der König von Babylon, sich als „König der Gerechtigkeit“ abbilden, wie er vom Sonnen- 
gotte die Gesetzesbelehrung empfängt — das Mittelalter kündet den Ruhm Karls des Grossen, 
des Gesetzgebers, wie der Norden den heiligen Olaf darob preist — und in der Sinnesweise der 
Aufklärung liess der grosse Preussenkönig im stolzen Hinblick auf das Gesetzeswerk zu 
Ausgang seiner Herrschaft einer Denkmünze den Satz aufprägen: Fridericus solvit aenigma. 
Die Jahrhunderte des alten Deutschen Reiches hatten eben den Übelstand eines schwan- 
kenden Gewohnheitsrechtsbodens besonders fühlbar gemacht ... . ähnlich ist es heute in England 
zu spüren, Die feierlichen Versicherungen, die Lykurg und Solon sich für ihr Gesetzeswerk geben 
liessen oder die unablässigen Anträge auf Kodifizierung des Rechts in Rom bis zu den XII Tafeln — 
9) In Preussen 2. B. die „Projekte“ des Codicis Fridericiani Pomeraniei und Marchici 1747/48. — Bemerkens- 
wert in England das Aufsteigen von der Einzelregelung (private bill legislation) zur Gesamtregelung (public general 
act); vgl. Redlich in Grünhuts Zeitschrift d. priv. u. öffentl. Rechts 30 (1903) S. 758. 
20) 886, 7II 13 ALR.: das Recht Gesetze zu geben und Privilegien als Ausnahmen davon zu verleihen, ist 
ein Majestätsrecht. Man beachte das charakteristische Schwanken zwischen „Gesetz“ und „Verordnungen“ in der 
Einleitung des A.L.R. 88 7, 8, 11,13, 49 und den dazu gehörigen Marginalien. Es scheint, als ob man unter „Ver- 
ordnung“ mehr die gesetzesgleiche Regelung des Einzelfalles verstand. — Vgl. noch Staedler, inden Blättern 
für vergleichende Rechtswissenschaft 7, 1912 S. 270. Für Russland Friedr. Andreae, Beiträge zur Geschichte 
Katharinas II (Instruktion vom Jahre 1767 für die Kommission zur Abfassung eines neuen Gesetzbuches) 1912 
S. 62—65. 
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