Paul Schoen, Die formellen Gesetze. 297
gebenden Faktoren über den Gesetzentwurf nicht zustande, so ist die Vorlage gescheitert und sie
kommt nicht mehr in die weiteren Stadien der Gesetzgebung. Eine Vereinbarung über sie liegt aber
nur vor, wenn sie in allen Einzelheiten von der Regierung wie von dem Landtage angenommen ist;
wo das Zweikammersystem besteht, sind übereinstimmende Annahmebeschlüsse beider Kammern
erforderlich, sofern nicht wie in Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen die Verfassung ein be-
sonderes Verfahren vorsieht, in dem etwaige zwischen den Kammern gebliebene Differenzen ausge-
glichen werden können, und dieses mit Erfolg angewandt ist. Die Kammern beschliessen über die
Gesetzesvorlagen nach einfacher Mehrheit der Stimmen der in beschlussfähiger Anzahl anwesenden
Mitglieder. Erschwerende Formen der Beschlussfassung sind gewöhnlich vorgesehen für verfassungs-
ändernde Gesetze. Über sie kann die Kammer meistens (z. B. in Bayern, Sachsen, Württemberg,
Baden, Hessen, Sachsen-Weimar) nur mit qualifizierter (zwei Drittel oder drei Viertel) Majorität
beschliessen ; mehrere Verfassungen (z. B. die bayerische, sächsische, badische, weimarische) verlangen
überdies noch Anwesenheit einer grösseren Anzahl von Mitgliedern, als sie zur Gültigkeit anderer
Beschlussfassungen erforderlich ist, und schreiben (wie z.B. die bayerische, sächsiche) ausserdem noch
eine wiederholte Beschlussfassung vor; am wenigsten ersch wert sind, wenn man von einzelnen Klein-
staaten absieht, die Verfassungsänderungen in Preussen, wo zu ihnen lediglich zwei Abstimmungen
in jeder Kammer nötig sind, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens 21 Tagen liegen muss. —
Ist nach dem Vorangehenden eine Vereinbarung der zwei oder drei beteiligten Faktoren über das,
was als Gesetz erklärt werden soll, zustande gekommen, so ist der Gesetzentwurf weiter in der Form,
die er nach dieser Vereinbarung hat, an das Organ zu bringen, dem die Sanktion d. h. der Erlass des
Befehles zusteht, dass die vereinbarten Normen gelten sollen für jeden, den sie angehen.
c) Die Sanktion ist Ausübung der staatlichen Herrschaftsgewalt. Sie kann daher nur
zustehen dem Träger der Staatsgewalt, in den deutschen Monarchien dem Landesherrn. Da sie eine
festgestellte Norm voraussetzt, kann sie immer erst erfolgen, nachdem die Feststellung dieser durch
alle zu ihr berufenen Faktoren beendet ist, also auch bei von der Regierung ausgehendem Gesetzes-
vorschlage nie schon mit dessen Vorlage an denLandtag. Der Landesherr steht dem ihm zur Sanktion
vorgelegten Gesetzentwurfe völlig ungebunden gegenüber. Er hat frei darüber zu entscheiden, ob
das zwischen ihm und dem Landtage Vereinbarte Gesetz werden soll oder nicht, auch dann, wenn der
Entwurf von ihm ausgegangen und von dem Landtage unverändert angenommen ist. Er darf aber
zum Gesetze erheben nur einen verfassungsmässig behandelten Entwurf und hat daher vor Erteilung
der Sanktion besonders zu prüfen, ob die verfassungsmässige Zustimmung der Kammern vorliegt.
Eine zeitliche Grenze ist dem Landesherrn für diese Entschliessung nur vereinzelt gezogen, wie in
Bayern, wo er nach dem Gesetz v. 19. Jan. 1872 Art. 40 die Sanktion spätestens beim Schlusse des
Landtages im Landtags-Abschiede zu erteilen oder zu verweigern hat; fehlt es an solcher ausdrück-
lichen Bestimmung, so kann der Landesherr seine Entschliesung beliebig hinausschieben.8) Was die
Form der Sanktion anlangt, so kommt in Betracht, dass sie eine Regierungshandlung des Landes-
herrn ist, also einer Gegenzeichnung einesMinisters bedarf und daher schriftlich erklärt werden muss.
In den deutschen Monarchien erscheint sie nun aber äusserlich überhaupt nicht als ein selbständiger
Akt, sie fliesst tatsächlich zusammen mit einer anderen dem Landesherrn obliegenden Verrichtung,
der Ausfertigung des Gesetzes. Indem der Landesherr diese vollzieht, erklärt er gleichzeitig
seinen Sanktionswillen. In dem Gesetze selbst aber kommt der erklärte Sanktionswille in den das
Gesetz eröffnenden Worten: „Wir... verordnen, mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtages
über das Amendierungerecht eingeräumt, bei Staatsbausbaltsetats allerdings nicht mit der gewöhnlichen Wirkung,
indem diese bei wiederholt abweichender Beschlussfassung der zweiten Kammer doch in der von dieser beschlossenen
Form für angenommen gelten.
8) Bestritten! Einzelne Schriftsteller, bes. v. Roenne, Preuss. St.R. I $ 94 $.393, nehmen an, dass die
Sanktion, auch wo dieses nicht bestimmt ist, spätestens bis zum Beginne der nächsten Sitzungsperiode des Land-
tages, andere, z.B.G.Meyer St.R.S. 570, Sohulze, Pr. St.R. IL S. 23%, dass sie spätestens bis zum Ende der
Legislaturperiode erfolgt sein müsse. Allein beide Ansichten, gezeitigt durch politische Erwägungen, entbehren
einer rechtlichen Grundlage und sind daher von der heute herrschenden Ansicht verworfen. Nähere Naohweisungen
bei G, Meyer, a, O. S. 66018, 570'%,