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Gerhard Anschütz, Verwalt ichtsbarkeit 319
Verwaltung in der Kultur der Gegenwart, Syst. Rechtswissenschaft 2. Aufl. 382 ff.— Fleiner, Institutionen des
Deutschen Verwaltungsrechts 3. Aufl. 227 ff. — Zorn, Kritische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, Verwaltungs-
archiv 2 74ff.— v.Stengel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit u. die öffentl. Rechte, Verwaltungsarchiv 3 177 ff. —
Lemayer, Apologetische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, Grünhuths Zeitschr. f. Privat- u. öff. Recht 22 353 ff.
— Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, Verwaltungsarchiv 8 220 ff., 475 ££., 9 159 ff.
5i5ff. — Loening, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit, in Hartmanos Zeitschrift 5 337 ff., 6 12 f£.,
8ıff., 308ff. — O. Mayer, Theorie des französ. Verwaltungsrechts (1886), — Laferriöre, Traitö de la
justico administrative (1896). — Dareste, la justice administrative en France (2 ed., 1902). G. Je ze im
Jahrbuch des öffentl. Rechts 5 628 ff.
X. Begriffliches und Terminologisches. — Das Wort VG past auf jede
Gerichtsbarkeit, d. h. streitentscheidende Staatstätigkeit, wobei die Verwaltung entweder als
Objekt bezw. Partei oder als Subjekt erscheint. VG im ersteren (objektiven) Sinne ist alle Juris-
diktion in Verwaltungssachen, insbes. jede Entscheidung von Streitigkeiten zwischen der Verwaltung
und den einzelnen über die beiderseitigen Rechte und Pflichten, einerlei, wer diese Jurisdiktion
handhabt, also jede, gleichviel von wem, überdie Verwaltung ausgeübte Gerichtsbarkeit,
z. B. die Kognition des Zivilrichters über die Stempelpflichtigkeit einer Urkunde, über den von der
vorgesetzten Dienstbehörde abgelehnten Besoldungsanspruch eines Beamten, die Entscheidung
des Strafrichters über die Gültigkeit einer Polizeiverordnung, über die Rechtmässigkeit der Amts-
ausübung eines Beamten, dem Widerstand geleistet worden ist (Str.G.B. $113). In dem andern
(subjektiven) Sinn bedeutet VG soviel wie Gerichtsbarkeit der (d.h. durchdie) Verwaltung,
wobei es nicht auf die Art des Streitgegenstandes, sondern nur auf das Subjekt der Jurisdiktion,
welches stets ein Verwaltungsorgan sein muss, ankommt. VGin dieser Wortbedeutung wäre die
Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde über eine gegen die Amtstätigkeit der ihr unter-
geordneten Behörde eingelegten Beschwerde, aber auch z. B. die den Polizei- und Finanzbehörden
zustehende Strafrechtspflege (Str.P.O. $$ 453 ff).
Der an die positivrechtliche Gestaltung der Dinge sich anschliessende technische Sprach-
gebrauch akzeptiert jedoch weder die eine noch die andere Begriffsbestimmung. Er lehnt es ab, alle
Fälle, wo über die Verwaltung und ihre Tätigkeit judiziert wird, ohne Unterschied des judizierenden
Organs, z. B. auch dann, wenn letzteres der Zivilrichter ist, als VG zu bezeichnen und lässt diese
Bezeichnung nur für solche Einrichtungen zu, welche eine Jurisdiktion durch die Verwaltung zeigen.
Er schliesst sich also an den zweiten, subjektiven, Wortsinn an, ist jedoch enger als dieser. VG
im sprachgebräuchlichen Sinne ist die von Organen der Verwaltung ausgeübte Gerichtsbarkeit,
diese jedoch nur, sofern die betreffenden Organe den Zwecken dieser, materiell nicht administra-
tiven, sondernrichterlichen Tätigkeit entsprechend eingerichtet, d.h. nach Organisation, Rechts-
stellung, Verfahren den ordentlichen Gerichten angeglichen sind. VG in diesem Sinne besteht,
in Gestalt von Einrichtungen, die in den Einzelheiten unter sich weit abweichen, aber in den grossen
Grundgedanken übereinstimmen, vornehmlich in Deutschland, Frankreich, Österreich und Ungarn.
Ihr Wesen beruht nicht darin, dass die Verwaltung aller Gerichtsbarkeit (streitentscheidender
Tätigkeit) beraubt, sondern darin, dass die Verwaltungstätigkeit, soweit sie streitentscheidender
Natur, materiell also Gerichtsbarkeit ist, nicht durch die ordentlichen, gewöhnlichen, sondern
durch besondere, eigens auf das Streitentscheiden eingerichtete (insbes. kollegiale
und unabhängige) Verwaltungsorgane gehandhabt wird. Trennung der streitentscheidenden von
der übrigen (reinen, tätigen) Verwaltung (französisch: des contentieux administratif von der
administration pure); darin liegt die Idee der VG, deren Begriff sich, auf eine kurze Formel
gebracht, dahin bestimmen lässt: VG ist eine streitentscheidende Tätigkeit
derVerwaltung, ausgeübt durch gerichtsähnliche Behörden (Ver-
waltungsgerichte) in einem prozessähnlichen Verfahren (Ver-
waltungsstreitverfahren).
Il. Geschichtliche Rückblicke. Die Ausbildung der VG in Deutschland.
— Schon im Laufe des 17. Jahrhunderts war in Deutschland die Zuständigkeit der
ordentlichen Gerichte mehr und mehr auf die Zivil- und Strafrechtspflege beschränkt worden.
Auf die Entscheidung von Streitigkeiten mit der damals emporkommenden und immer mächtiger
anwachsenden staatlichen Verwaltung („Polizei im Sinne des damaligen Sprachgebrauchs) er-
streckte sich diese Zuständigkeit nicht: ‚in Polizeisachen gilt keine Appellation‘ (nämlich: an den