352 K. Schulz, Die Entlastung des Reichsgericht«.
Beseitigt würde das Privatinteresse bei der Einlegung der Revision, wenn das Gericht zweiter
Instanz berechtigt und verpflichtet würde, mit seiner Entscheidung die Zulässigkeit der Revision
gegen dieselbe auszusprechen. Ohne diesen Ausspruch wäre die Geltendmachung der Revision
ausgeschlossen. Das Oberlandesgericht wäre dazu berechtigt in ihm zweifelhaft erscheinenden,
für eine weitere Prüfung geeigneten Rechtsfällen. Durch gesetzliche Bestimmung wäre es zur Fest-
setzung der Zulässigkeit zu verpflichten, wenn es in vom Reichsgericht bereits entschiedenen
gleichen oder ähnlichen Fällen von dessen Entscheidung abweicht und wenn andere Oberlandes-
gerichte in gleichen Fällen anders entschieden haben. Nach dem Gesetzentwurf von 1910 wäre die
Prüfung dieser Voraussetzungen die Sache der Parteien gewesen. Die Erwägung durch die Gerichte
selbst würde die in jenem Fall befürchteten Nachteile — Präjudizienkultus und häufige Rechts-
mittel nicht nach sich gezogen haben. Die Grundlage wären auch hier die vom Reichsgericht selbst
formulierten Rechtssätze. Durch eine öffentliche Behörde, eine Staatsanwaltschaft in Zivilsachen
könnte diese Tätigkeit der Oberlandesgerichte überwacht und durch die Berechtigung, ihrerseits
die Zulässigkeit der Revision auszusprechen, ergänzt werden.
Beiseite gesetzt würde das Privatinteresse auch, wenn das Aussprechen der Zulässigkeit
der Revision ausschliesslich einer öffentlichen Behörde, einer Zivilstaatsanwaltschaft übertragen
würde. Bei grösseren Oberlandesgerichten hätte die Behörde aus mehreren Personen zu bestehen.
Durch ihre Ernennung aus Richterkreisen könnte ihre Unabhängigkeit vewährleistet werden
Durch beide Einrichtungen wäre das Privatinteresse beseitiet bei der Fraze. ob das Rechts-
mittel eingelegt werden darf. Es würde wieder eintreten bei der Durch ütrrung derselben. Die
Prozesse wären der Regel nach mit dem Spruch der zweiten Instanz zu Ende. Stellt das Oberlandes-
gericht oder die öffentliche Behörde fest, dass ein allgemeines Interesse an der nochmalizen Prüfung
der Sache besteht, so eröffnen sie den Parteien dies und überlassen es der unterlegenen Partei,
ihr Recht weiter zu verfechten. Verzichtet die Partei darauf, so muss auch das öffentliche Interesse
schweigen.
Nur beschränkt würde das Privatinteresse, wenn man durch eine Vorprü’ung seitens eines
Senatsmitglieds und des Senatspräsidenten oder seitens zweier Mitglieder die Rechtssachen aus-
schiede, in denen die eingelegte Revision zweifellos einen Erfolg nicht haben kann. Wer sich nicht
entschliessen kann, die Oberlandesgerichte selbst über die Zulässigkeit des Reı htsmittels bestimmen
zu lassen und wer dies auch nicht einer öffentlichen, nichtrichterlichen Behörde anzuvertrauen
vermag, wird der Vorprüf 1 Glieder des Gerichtsseine Erwägungzuwenden müssen 5)
Liegt es zurzeit in der Macht des einzelnen Rechtsanwalts am Reichsge: icht die Einlegungz der
Revision abzulehnen und sie als unzulässig oder bestimmt erfolglos zurückzuweisen — die anderen
Rechtsanwälte am Reichsgericht pflegen dann auch ihrerseits die Vertretung zu versagen —, so wird
die Zurückweisung ohne Verhandlung durch ein oder zwei Mitglieder des Gerichts die Parteien kaum
ungünstiger stellen.
Als eine Beschränkung des Privatinteresses wäre endlich noch aufzufassen die gänzliche oder
fakultative Beseitigung der mündlichen Verhandlung vor dem Reichsgericht.
In der einen oder anderen dieser Richtungen wäre der Kampf des Einzelnen um sein Recht zu
beschränken und den höheren Interessen des Ganzen dienstbar zu machen. Gelänge es, das Privat-
interesse bei der Einlegung der Revision, wie oben geschildert, ganz zu beseitigen, so könnte die
Revisionssumme ermässigt werden, wenn nicht ganz wegfallen.
Ob es dieser Auffassung gelingen wird, sich gegenüber der Zähigkeit überlieferter Ansichten
und der Macht beteilister Interessen, denen sie entgegentreten muss, “durchzusetzen, steht dahin.
Von den Regierungen ist angekündigt, dass als Abhilfe für künftige Zeit vorerst nur Vermehrung der
Mitglieder und der Senate ins Auge gefasst werden solle. Dem gegenüber muss immer wieder betont
werden, dass ein oberster Gerichtshof i in einem grossen Lande, der allzuviele Prozesse und dabei
auch untergeordnete, nicht lediglich wichtige Fragen zu entscheiden hat, so viele Mitglieder erfordert,
ı3) Hoagensa.a. O. will auch, wenn das Berufungsurteil an Mängeln leidet, die dessen Aufhebung und
zugleich die weitere Entscheidung in einem bestimmten Sinne unbedenklich gebieten, namens des Senats end-
gültige Entscheidung durch zwei Mitglieder desselben nach Gehör des Revisionsgegners ergehen lassen.