Ernst Beling, Strofrechtspflege. 357
betr. Verwaltungsbehörde. Deshalb wird nur die eine Forderung zu erheben sein, dass es dem
Individuum frei stehen muss, gegenüber der Straffestsetzung durch die Verwaltung die ordent-
liche Strafrechtsschutzstelle, das Gericht anzurufen — eine Forderung, der das geltende Recht
wenigstens grundsätzlich genügt.
2. Aus dem Gros der Strafsachen sind heute gesetzlich bestimmte Gruppen derart heraus-
gehoben, dass ihre Erledigung besonderen Stellen zufällt, die in ihrer Gesamtheit die Organe für
eine von der „ordentlichen“ abgezweigte „Sonderstrafgerichtsbarkeit“ darstellen. Von diesen
Sonderstrafgerichten haben sich die Elbzoll- und Rheinschiffahrtsgerichte zweifellos überlebt;
ein praktisches Bedürfnis für sie besteht um so weniger, als sie de facto schon in die Hierarchie
der ordentlichen Gerichte übergeführt sind (Amtsgerichte); ihrer Beseitigung stehen nur inter-
nationale Verträge entgegen, an deren Aufrechterhaltung in dieser Beziehung aber schwerlich ein
Interesse der beteiligten Staaten besteht. Gleichfalls nur noch als historisch überkommen sind
zu nennen die sog. Austrägalgerichte gegen die Häupter der standesherrlichen Familien (verbrieftes
Privileg). Kaum durch innere Erwägungen gerechtfertigt sind ferner die sog. ausserordentlichen
Stand- und Kriegsgerichte, die da, wo der sog. Kriegs-(Belagerungs-)zustand verhängt ist, die
ordentlichen Gerichte in gewissem Umfang ablösen; die von ihnen erwartete Schleunigkeit der
Prozedur kann auch innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit durchgeführt werden; die von ihnen
erwartete Strenge der Beurteilung ist zu missbilligen, soweit sie nicht als eine durch das Gesetz
gedeckte gedacht ist, und ist, soweit sie de lege ferenda berechtigt erscheint, durch das materielle
Strafrecht zu gewährleisten; der Gedanke, dass die Vorstellung, man werde vor ein ausserordent-
liches Stand- oder Kriegsgericht gestellt werden, besonders unheimlich sei und daher ‚von der ‚Ver-
übung strafbarer Handlungen abschrecken werde, ist, solange die Belageı
wie alle anderen auch nur „Recht“ sprechen und nicht Gewalt üben dürfen, verfehlt.
Anders steht es mit den Militärgerichten. Für sie spricht vornehmlich der Grund, dass die
aus dem militärischen Leben erwachsenen Strafsachen regelmässig nach der tatsächlichen, oft
aber auch nach der rechtlichen Seite hin besser von militärischen ‚Spezialisten‘ beurteilt werden
können, sowie der andere, dass die Erledigung dieser Strafsachen durchschnittlich eine Störung
des geordneten Ganges des militärischen Lebens mit sich bringt, und diese Störungen viel grösser
sind, wenn die mit dem Heeresverband nicht in Fühlung stehenden ordentlichen Gerichte die Straf-
sache zu erledigen haben.?) Die Idee der „Gleichheit aller vor dem Gesetz‘ kann demgegenüber
nicht durchschlagen, sofern nur die Gerechtigkeitsgarantien hüben und drüben gleich gross sind.
Die reichsrechtlich zugelassenen Sondergerichte gegen Mitglieder der landesherrlichen
Familien endlich rechtfertigen sich mindestens so lange, als das Reichsrecht weitergehend sogar
ihre völlige Befreiung von der Gerichtsbarkeit zulässt. Im übrigen lässt sich dieses Problem wohl
kaum anders als aus der subjektiven politischen Grundauffassung heraus beantworten.
3. Ob und inwieweit die Strafrechtspflege auf Selbstverwaltung gestellt werden soll, ist
hier insoweit nicht zu erörtern, als es sich um die Zuziehung des Laienelements handelt (darüber
vgl. Abschn. 22 und 24b dieses Handbuchs). Dagegen ist hervorzuheben, dass das geltende Recht
eine Selbstverwaltung der unteren Gerichtsstellen im Gegensatz zu den vorgesetzten Behörden inso-
fern kennt, als ihnen die Bildung der Rechtsprechungskörper an den Gerichtsanstalten (teilweise)
und die Geschäftsverteilung zugewiesen ist. Diese Einrichtung bedeutet eine Art Autonomie der
Gerichte und weist einen verwandten Zug mit den englischen rules auf. Sie ist ebenso als Garantie
der Unparteilichkeit schätzenswert, wie sie zugleich auch die Leiter. der Justizverwaltung vor
Verdächtigungen bewahrt.
4. Die Forderung, dass die Richterstellen den Frauen eröffnet werden sollen, lässt sich
(unbeschadet der durchaus zu trennenden Fragen, ob Frauen zum Rechtsanwaltsberuf und zu
sonstigen nichtrichterlichen Funktionen zuzulassen seien) jedenfalls für die Strafrechtspflege kaum
verteidigen. Der Strafrichter muss imstande sein, seine Sympathien mit dem Angeklagten und
3) Auf die Abgrenzung der Militär- und der ordentlichen Gerichtsbarkeit kann hier nicht eingegangen
werden,