Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Karl Lamprecht, Stanisform und Politik im Lichte der Geschichte. 25 
  
besass, von sich aus in einer rein monarchischen wohlgegliederten Staatsform über das viel zu grosse 
Reich hin Fuss zu fassen. So ergab sich denn für das Reich, das in gänzlichem Ruin seiner Finanzen 
und in vergeblichen Versuchen zur Begründung einer Verwaltung im Laufe des 13. Jahrhunderts 
zerschellt war, ein halb staatloser Zustand, der auch dann noch fortdauerte, als seit Rudolf von 
Habsburg die Krone neue Träger erhalten hatte. Die Lage wurde noch komplizierter dadurch, dass 
in diesen Zustand hinein nunmehr die Entwicklung der Geldwirtschaft fiel, bei der die Organisation 
des neuen Zustandes nicht voll und gleichmässig organisch dem Volksleben eingefügt werden konnte, 
sondern vielmehr in den Städten besondere, lokal stark betonte Zentren suchte, was dann zur Ent- 
wicklung mehr oder minder selbständiger Städtewesen geführt hat. Da nun gleichzeitig in den 
einzelnen, aus dem Reiche sich mehr oder minder auslösenden Territorien der Feudalismus speziell 
begründet zu werden begann, diese Gründung aber wiederum schon deshalb misslang, weil zu ihrer 
Durehführung der unbedingt notwendige Treubegriff des früheren Mittelalters allmählich hin- 
wegfiel, so ergab sich ein allgemeines Chaos der Entwicklung, durch welches namentlich die zweite 
Hälfte des 14. Jahrhunderts, sowie die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts charakterisiert wird. 
Versuchte man aus ihm in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und noch in der ersten des 
16. durch die Entwicklung eines Föderativsystems herauszugelangen, so war dies ein Gedanke, der in 
einem Zeitalter des aufkommenden persönlichen Individualismus gewiss sehr nahe liegen musste. 
Allein, war er durchführbar? Föderativstaaten sind im allgemeinen Staatsbildungen sehr hoher 
Kultur, und ihre Berechtigung beruht in der wohlerwogenen gegenseitigen Abgrenzung mehr heimat- 
licher und territorialer und sehr weiter grosse Landstrecken umfassender Reichsinteressen, auf 
einem Gegensatz mithin, der in dieser Weise dem 15. Jahrhundert wohl kaum schon als Motiv 
einer Staatsbildung geläufig sein konnte. Wie dem auch sei, der Versuch der Bildung eines Födera- 
tivstaates gelang nicht. Es kam vielmehr zu einer sozialen Revolution, die sich mit der kirchlichen 
Revolution zeitlich zusammenfand, und da die Kaiser der späteren Zeiten nur noch sehr selten 
gänzlich misslungene Versuche zur Durchbildung eines Reiches in der Richtung des nunmehr in 
Europa herrschenden Absolutismus gemacht haben, so ging das Reich einem durch nichts mehr 
aufzuhaltenden Ruin entgegen. Der Absolutismus aber hat sich in Deutschland in den einzelnen 
Territorien durchgebildet. 
IV. Absolutismus des individualistischen Zeitalters. 
Sucht man die Wurzeln des Absolutismus des 15.—18. Jahrhunderts klar zu legen, so liegt 
es nach der bisherigen Auffassung der Dinge am nächsten, von wirtschaftlich- und sozialgeschicht- 
lichen Erscheinungen auszugehen. Es würde da gesagt werden können, dass die grossen Grund- 
herrschaften der künftigen Herrscher in den einzelnen Territorien schon seit ihrer Durchbildung 
im 10. Jahrhundert anfingen, ein starkes wirtschaftliches Rückgrat des kommenden Absolutismus 
abzugeben, dass weiterhin die Überweisung oder die Usurpation von Reichsrechten die Territorien 
rechtlich mit staatlicher Gewalt ausstattete, dass von diesen beiden Motiven her schon im 13. 
Jahrhundert von Landesstaaten geredet werden konnte, dass diese sich dann mit dem ersten Ein- 
ziehen geldwirtschaftlicher Tendenzen von der lehensstaatlichen Gliederung ihrer Verwaltung frei 
machten, und dass dieser Vorgang unter der allgemeinen Zunahme der Geldwirtschaft sich bis zum 
18. Jahrhundert stärker und stärker fortsetzte. Von diesen verschiedenen Motiven wäre wohl 
bloss das letzte noch einer weiteren Ausführung bedürftig. Der Urkundenvorrat des 12.—14. Jahr- 
hunderts beweist beinahe für alle Gegenden Deutschlands die allmähliche Abwandlung der ur- 
sprünglichen Lehensverwaltung, und da, wo diese Verwaltung schon ganz selbständig geworden 
war, ihren Ersatz durch neue Verpflichtungen im Sinne eines primitiven modernen Beamtentums. 
Die Übergangsformen sind dabei sehr mannigfaltig, aber überall sehen wir, wie an Stelle des treu- 
eidlich gebundenen und naturalwirtschaftlich besoldeten Beamten der früheren Jahrhunderte ein 
mehr oder minder geldwirtschaftlich besoldeter und dem Herrn zu absoluter Verfügung stehender, 
vielfach militärisch geschulter und sich anfangs keineswegs besonderer Standesrechte erfreuender 
Verwaltungsdiener tritt, der in der Regel den Namen Amtmann geführt hat. Ist dabei der Amtmann 
in den einzelnen Staaten die Stütze der Lokalverwaltung, so tritt allmählich immer stärker über
	        
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