Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Karl Lamprecht, Staatsform und Politik im Lichte der Geschichte. 27 
  
Weltanschauungen gegeben worden, welche die Zeit vom 15.—18. Jahrhundert hervorbrachte. 
Es ist dies ein sehr wichtiger und wohl zu beachtender Punkt; hier erscheint die Entwicklung des 
politischen Absolutismus wieder vollkommen nicht bloss in den allgemeinen geschichtlichen Vorgang 
sondern sogar auch im Einzelnen in die Materien der Kulturgeschichte eingebettet. Der Gang der 
Entwicklung der Weltanschauung dieser Zeit brachte es nun mit sich, dass anfangs für die Kon- 
struktion des Staatszweckes noch nicht philosophische, sondern kirchlich-religiöse Motive mass- 
gebend waren, ein Hintergrund, der sich in der heute ziemlich geläufigen Einteilung des Absolutis- 
mus in einen patriarchalischen und in einen aufgeklärten ohne weiteres ausspricht. Freilich war bei 
alledem nicht ausgeschlossen, dass irgend ein absoluter Herrscher in irgend einem der kleinen Terri- 
torien von der Bedeutung dieser grossen Strömung keine Notiz nahm und auf eigene Faust als ein 
Tyrann regierte. Einige Beispiele dieser Art gehören bekanntlich zu den Kuriosen der deutschen 
Geschichte des 17. und auch noch, ja erst recht 18. Jahrhunderts. Im ganzen aber erschien der 
Zweck des Staates jetzt von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr durch die Staatstheorien und damit 
durch das Produkt einer allerdings noch in kleinem Kreise sich abspielenden öffentlichen Meinung 
geleitet, eine Erscheinung, welche es verstehen lässt, dass in der zweiten Hälfte des 18 Jahrhunderts 
unter dem Eintritt grosser, neuer seelischer Verhältnisse der ausgehende absolute Staat in einer 
uns heute kaum noch verständlichen Weise den Einwirkungen der nunmehr immer kräftiger wer- 
denden öffentlichen Meinung anheim fiel. 
V. Der moderne Staat. 
Der Staat der modernen Demokratie, der in seinen Grundzügen allen staatlichen Entwick- 
lungen des mittleren und westlichen Europas gemeinsam ist, scheint an erster Stelle aus wirtschafts- 
und sozialgeschichtlichen Vorgängen hergeleitet werden zu müssen. In dieser Hinsicht ist für ihn 
vor allen Dingen die volle Entwicklung der Geldwirtschaft charakteristisch und damit die Ent- 
stehung eines Wirtschaftslebens, das man als kapitalistisch oder Wirtschaftsleben der Unter- 
nehmung zu bezeichnen pflegt. Vom kulturgeschichtlichen Standpunkte aus betrachtet, scheint 
als das Wesentliche dieser Wirtschaftsform vielmehr die freie Stellung der Persönlichkeit hingestellt 
werden zu müssen, indem das Geld als einziger Wertmesser aller Güter auf sie und ihren besonderen 
Wert in eine freie Beziehung, die man am besten Kredit nennen kann, gesetzt wird. Denn heute ist 
ja Kredit weiter nichts als die bestimmte ökonomisch-moralische Ausstattung einer gegebenen 
Persönlichkeit, gleichgültig, ob diese Ausstattung in rein wirtschaftlichen oder moralischen oder 
rechtlichen oder sonst irgend welchen Werten nutzbaren Charakters besteht. Ein wirtschaftlicher 
Zustand, der auf die Erzeugung eines solchen Wesens der Einzelpersönlichkeit hinausläuft oder ihm 
wenigstens zudrängt, war nun natürlich nicht geeignet, die alte soziale Schichtung, die Einteilung 
in Bauer, Bürger und Edelmann, die im westlichen Europa wenigstens im 17. und 18. Jahrhundert 
und bei uns noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein bestand, bestehen zu lassen. Er drängte sich 
vielmehr zersetzend in diese alten Bildungen ein, und so war eine soziale Umorganisation beinahe 
überall eine Folge der wirtschaftlichen Umwälzung. Dabei ist es dann freilich nicht geblieben. 
Wir werden später sehen, wie der modernen Persönlichkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiete ge- 
wisse auf Zusammenfassung hinauslaufende Züge eigentümlich sind, welche der späteren Evolution 
des modernen Kapitalismus einen ganz anderen, auf Vereinigung (Trustwesen) hingehenden Cha- 
rakter gegeben haben. 
Indes würde es doch falsch sein, als tiefstes historisches Motiv des neuen Zeitalters nur 
unmittelbare Zusammenhänge wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Natur anzusehen. Viel- 
mehr zeigt in diesem Falle ganz besonders stark die deutsche Geschichte, dass es sich auch diesmal 
zuunterst um einen rein psychologischen Vorgang handelt, der seinerseits allerdings wohl durch 
wirtschaftliche oder soziale Reize ausgelöst werden kann, dies aber keineswegs braucht, wie denn in 
Deutschland die entscheidende Bewegung schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus ganz anderen, 
wesentlich schon den höheren Kulturzweigen angehörigen Entwicklungen hervorgegangen ist. 
Es wird über diesen Punkt bald ausführlich Rechenschaft gegeben werden. Das psychologische 
Moment, das hier in Betracht kommt, kann man als das des Subjektivismus bezeichnen. Wir
	        
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