Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

J. Hatschek, Die parlamentarische Regierung. 423 
Gerichtshöfe beizuwohnen, ohne jedoch das Recht zu haben, seine Meinung dabei zu äussern“, 
oder was ihm ebenfalls die Verfassung gestattet, in die Protokolle der Behörden einzusehen, sondern 
er geht über den Rahmen der Verfassung hinaus und schreibt, wenn er anlässlich dieser Prüfung 
Missstände entdeckt, den Behörden die in Frage kommen, direkt vor wie sie es machen müssten. 
Nach $ 46 der Reichstagsordnung®) soll ein Ausschuss des Reichstags, der von einer Staats- 
behörde Aufklärung wünscht, diesen Wunsch durch seinen Vorsitzenden dem jener Behörde vor- 
gesetzten Staatsratsmitglied übermitteln, auf dass der König den Auftrag gebe, die nötigen Mit- 
teilungen dem Reichstagsausschuss zukommen zu lassen. In der Praxis hat sich nun ein direkter 
Verkehr zwischen den Reichstagsausschüssen und den Verwaltungsbehörden herausgebildet. Nun- 
mehr macht aber der Reichstag trotz des $ 46 den Anspruch und zwar nicht ohne Erfolg geltend, 
dass die von einem Ausschuss verlangte Auskunft direkt von der Verwaltungsbehörde (also 
ohne Vermittlung des Staatsrats und des Königs) abgegeben werden müsse. Nicht der gute Wille 
der Behörde, sondern eine bestehende Rechtspflicht soll massgebend sein. Schliesslich ist das 
Interpellationsrecht, wie es sich in der Gegenwart in Schweden entwickelt, weit über den Rahmen 
der Verfassung, in der es eine nur untergeordnete Rolle spielt, hinausgewachsen und wird insbe- 
sondere dazu verwendet, um der Staatsverwaltung Direktiven zu erteilen, die eigentlich nur dem 
Könige zustehen.) 
Dies sind alles Anzeichen, dass die parlamentarische Regierungsweise bereits im Anzuge ist. 
Ob sie schliesslich in ein parlamentarisches Ministerkabinett ausmünden wird, hängt natürlich 
wie auch anderswo davon ab, ob grosse Parteien an Stelle der vier bestehenden einen mass- 
gebenden Einfluss im Staate gewinnen, also von sozialen Momenten. Aber das parlamentarische 
Ministerkabinett ist kein wesentliches Merkmal der parlamentarischen Regierung, sondern einzig 
und allein die Tatsache, dass der Wille der Volksvertretung in den wichtigsten Staatsfragen, ins- 
besondere in der Verfassungsumbildung sich durchsetzt. Und in disem Sinne geht Schweden 
sicherlich der parlamentarischen Regierung entgegen, wenn es sie nicht schon hat. 
III. 
Parlamentarische Reglerung und Staatsfornı. 
Die parlamentarische Regierungsweise bildet keinen Verfassungstypus, sondern ist eine 
Regierungsform, welche sich den beiden bestehenden Verfassungsformen der Monarchie 
wie der Demokratie anzupassen weiss. Es gibt parlamentarische Monarchien und parlamentarische 
Demokratien. Es gibt auch parlamentarischregierte Bundesstaaten, z. B. Australien. Die Rechts- 
institute, welche die parlamentarische Monarchie im Gegensatz zur konstitutionellen verwenden, 
sind folgende: 
Zunächst ist die parlamentarische Monarchie nicht an die Dreiteilung der Staatsgewalt 
gebunden. 
Im Gegenteil. Sie ignoriert sie. Das Parlament besorgt mitunter Funktionen der 
Verwaltung z. B. die Setzung von Rechtsverordnungen oder von Verwaltungsverordnungen. 
$o werden in England z. B. die Grundsätze für die Theaterzensur durch das Unterhaus 
genehmigt (siehe mein englisches Staatsrecht u S. 515). Auf dem Wege der Private acts nimmt 
das Unterhaus die Verleihung von E Gewerbekonzessionen u. a. mm. 
vor. (Siehe darüber m. engl. Staatsrecht I S. 566 ff. ). Bei der Feststellung des Budgets und der 
Rechnungslegung übt das Parlament nicht bloss Kontrolle der Verwaltung, sondern Verwaltungs- 
tätigkeit aus. Einerseits nimmt das Parlament noch vor der Gesetzvollendung des Budgets An- 
weisungen von Geldern für die laufende Verwaltung und Aenderungen der Finanzquellen auch 
während des Verwaltungsjahres vor, so dass die endgültige Feststellung des S aatshaushalts nur 
die formelle Sanktion der durch das Parlament geübten Verwaltungstätigkeit darstellt. Bei der 
Rechnungslegung beschränkt sich das Parlament nicht, wie in der konstitutionellen Monarchie, auf 
®) S. darüber Varenius im XIl. Jahrgg. der Statsvetenskaplig Tidskrift (1909) p. 156 ff. 
1) Routerskiöld a. a. O. Bd. XIV S. 307 ff.
	        
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