Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

449 Hermann Rehm, Wahlverfahren. 
Auf den ersten Blick scheint das richtige System zu sein: jede Partei erhält so viele Prozente 
der Mandate, als sie Prozente der Gesamtstimmenzahl hat. Dann würden 25 % der Stimmen 
25 % der Mandate, 50 % der Stimmen 50 % der Mandate erhalten, in unserem Beispiele also 795 
Stimmen 1, 1590 2 Mandate. Grosse Mandatsreste müssten in andrer Weise verteilt werden und bei 
starker Parteizersplitterung versagt das System ganz. 
d’Hondt hat daher einen anderen Gedankengang eingeschlagen. Er sagt: Die Zahl der Sitze, 
die eine Parteisicher erlangt, hängt von der Verteilungszahl ab. Verteilungszahl ist die Ziffer, 
die erreicht werden muss, um überhaupt ein Mandat zu erlangen. Je höher diese Zahl ist, um so 
geringer ist die Zahl der Parteien, deren Stimmstärke diese Zahl erreicht. Mit der Höhe der Ver- 
teilungszahl steigt die Stimmüberlegenheit einer Partei, mit ihrer Kleinheit sinkt sie. Die Partei A, 
die mit 1274 Stimmen die höchste Stimmziffer gewonnen hat, kann zur Verteilungszahl 1274 nur 
einmal, dagegen zur Verteilungszahl (1274 :2 -) 637 zweimal, zur Verteilungszahl (1274 :3 -) 
424,6 dreimal gelangen. Aber sicherer ist ihr 1 Sitz mit der Verteilungszahl 1274, als 2 mit der Ver- 
teilungszahl 637. Denn mehr als 637 Stimmem können leichter auch andere Parteien haben. Die 
Wahrscheinlichkeit, 2 Mandate zu gewinnen, ist somit nur halb so gross als die, 1 Sitz zu erreichen, 
die Wahrscheinlichkeit, drei Sitze zu bekommen, um ein Drittel so gross, wie die, 1 Platz zu erhalten, 
Daher ist die Stimmstärke der Partei nach Gewinnung des ersten Mandats auf die Hälfte, nach 
Erreichung des zweiten auf ein Drittel der erreichten Stimmzahl herabzusetzen. 
Auf diese Weise ergibt sich folgendes Verfahren zur Feststellung der Verteilungszahl. Man 
dividiert die Zahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen mit 1, dann mit 2, mit 3 usw., bis die 
Zahl der auf den Wahlkreis entfallenden Mandate — in unserem Beispiele 4 — erreicht ist. Also 
B C D 
1274 :] = 1274 906 : 1 -- 906 640 :1 = 640 360 :1 = 360 
1274 :2 = 637 906 :2 = 453 640 :2 = 320 360 :2 = 180 
1274 :3 = 424,6 906 :3 = 302 640 :3 = 213 360 :3 = 120 
1274 :4 = 318,5 906 :4 = 126,5 640 :4 = 160 360 :4 = % 
Erreicht ıst die Zahl der Mandate mit 637. Denn die vier Höchstzahlen sind 1274, 906, 640, 
637. Die Höchstzahl, mit der ihrer Reihenstelle nach die Zahl der Mandate erreicht ist, bildet die 
Verteilungszahl, also hier 637. Demgemäss erhält A 2, B und C 1 Mandat. Für die Stimmenver- 
teilung sind also unmittelbar und ausschliesslich die Stimmstärken-Abstände zwischen denParteien 
maasgebend. 
E) Abgeschwächte Proportionalwahl. Dem Zwecke, arbeitsfähige Mehr- 
heiten zu sichern, wie sie besonders parlamentarisch regierte Staaten brauchen, dient 
1. Das Quorum. Parteien, die nicht einen gewissen Mindestprozentsatz (das Quorum) 
der abgegebenen Stimmen (15 %, !/,, 44) oder gar ein gewisses Vielfaches hiervon (z. B. mul- 
tipliziertt um die Zahl der Mandate des Wahlkreises) erreicht haben, werden bei der Verteilung 
ausgeschlossen. Quorum gilt für politische Wahlen in Schwyz, Solothurn, Neuenburg, für 
gemeindliche in Belgien. 
2. Die Majoritätsprämie. Die absolut oder relativ stärkste Partei erhält alle Rest- 
mandate. 
3. Die Berechnung des Wahlquotienten nicht von der Zahl der abgegebenen Stimmen, 
sondern der (viel höheren Zahl) der in die Wählerliste eingeschriebenen Wahlberechtigten. 200 000 
waren z. B. eingeschrieben, nur 160 000 wählten. 
VI Länder der Verhältniswahl. Für sozialpolitische Wahlen ist Proporz 
häufig.:) Nach deutschem Reichsrechte ist er obligatorisch für die Wahl der Beisitzer des Kauf- 
mannsgerichtes und für die Wahl der Arbeitgeber- und der Versicherten-Vertreter bei der Reichs- 
versicherung. In Württemberg, Bayern und Baden gilt verhältnismässige Vertretung für Gemeinde- 
")H. Schulz, Die Wahl, insbes. die Vorh.-W., in der Sozialvers. 1913.
	        
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