Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

48 Hans. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 
In neuerer Zeit gelangte sie zu besonderer Blüte im Laufe des 18. Jahrhunderts; es war die 
dai istisch-utilitarische Theorie, die Theorie des Polizeistaates, die auch praktisch von grosser 
Bedeutung wurde. Ihr folgte, als Reaktion zu Ende des Jahrhunderts die Rechtstheorie, die nicht 
minder stark die politischen Gemüter beschäftigte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
aber wird die Zweckfrage in der Literatur stark vernachlässigt; sie war, wie die allgemeine Staats- 
lehre überhaupt, durch oberflächliche und dilettantenhafte Behandlung in Misskredit geraten; 
von Juristen wird sie nahezu gänzlich ignoriert, hingegen häufiger von Nationalökonomen in ihren 
Systemen erörtert. 
Dieser Stand der Literatur enthebt mich der Aufgabe, hier ein besonderes Verzeichnis an- 
zureihen. Inden meisten Werken des 18. und 19. Jahrhunderts, die ein System der Politik, des 
Staatsrechts, der Rechtsphilosophie usw. enthalten, findet man auch ein Kapitel über den Staats- 
zweck. Genannt sei hier nur die einzige Monographie, die meines Wissens über das Thema existiert: 
Murhard, Der Zweck des Staates. Göttingen 1832. 
DasBuch enthält die bisdahin erschieneneLiteratur sehr ausführlich, aber wenig übersichtlich. 
Im übrigen beschränke ich mich auf die Angabe der wichtigsten einschlägigen Werke im Text. — 
Im folgenden wird zunächst ein geschichtlicher Überblick über die in den verschiedenen 
Zeitperioden entstandenen Zwecktheorien gegeben; daran schliesst sich eine Darstellung der ein- 
zelnen Theorien und eine kritische Würdigung der wichtigsten derselben; zum Schluss werden die 
dem modernen Staate und der neueren Forschung entsprechenden Zwecktheorien entwickelt. 
$ 1. Historischer Überblick über die Zwecktheorien. 
1. Plato. Aristoteles. Cicero, 
Die Hellenen, die in ihren Staatswissenschaften über das Zeichnen von Idealstaaten 
eigentlich nicht hinauskamen, haben den Staaten auch ideale Zwecke gesetzt. Den grossen Philo- 
sophen, die sich mit diesen Problemen befassten, namentlich Plato und Aristoteles hat 
nicht nur der praktische Blick für die Bedürfnisse eines Staates vollständig gefehlt, sondern sie 
haben auch von Grund aus die Grenzen staatlicher Macht verkannt, ein Vorwurf, den man mit 
demselben Kecht auch manchem führenden Geist späterer Jahrhunderte machen kann. Wären 
die der hellenischen Philosophie entstammenden Idealstaaten zu verwirklichen gewesen — woran 
ihre Konstrukteure allerdings selbst zweifelten —, so wären sie entweder polizeistaatähnliche, unter 
strengster Sittenordnung stehende, lediglich auf Selbsterhaltung bedachte Verbände geworden, 
oder aber, ihren transzendenten Zwecken entsprechend Heilsanstalten, Kirchen nach unseren 
heutigen Begriffen. Damit steht nicht im Widerspruch, dass sich in ihren Schriften mancher prak- 
tische Vorschlag findet, von denen einzelne mehr als zwei Jahrtausende später erst verwirklicht 
werden, wie z. B. das stehende Heer oder die allgemeine Schulpflicht des Platonischen Staates. 
Platos Staatsideal, wie es in der Politeia gezeichnet ist, verdankt seine Gestalt den damals 
in Athen tatsächlich herrschenden politischen und sozialen Zuständen. Plato wollte zum Refor- 
mator seiner Vaterstadt werden, in der die Demokratie gründlich abgewirtschaftet hatte. Neben 
Luxus und Übermut herrschte Armut und Elend und die unmittelbare Ursache davon sieht Plato 
darin, dass der Staat über seine Grenzen hinausgegangen, dass er nicht Polis geblieben sei; mit 
liem steigenden Handel sei die Erwerbsbegierde im Lande gewachsen und damit seien die verderb- 
dehen Klassengegensätze entstanden, die sich mit den damalıgen einfachen Lebensverhältnissen nicht 
mehr vereinbaren liessen. Politisch macht Plato für diese Zustände die demokratische Staats- 
form verantwortlich, die nach ihren Prinzipien keine sachverständige Leitung der Staatsgeschäfte 
verbürgen könne. „Wenn ein jeder berufen ist und sich für berufen hält, an den wichtigsten Ent- 
scheidungen des öffentlichen Lebens unmittelbar mitzuwirken, wenn die höchste und schwierigste 
aller Aufgaben, die Staatsleitung nicht durch sachkundig geschulte Männer sondern von jedem 
Beliebigen gelöst werden soll, den Volksgunst und Vordringlichkeit emporheben, so ist ein Hin- 
und Herschwanken des Staatsschiffes, dem der rechte Steuermann mangelt, unvermeidlich?) ...... 
  
3) Welohe hoheMeinung Plato von der Leitung eines Staates hat, geht unter anderm auch aus dem Dialog 
„Der Stastamann“ hervor,
	        
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