178 Friedrich Zahn, Das Dentsche Volk.
Zahl der Geborenen (einschl. Totgeborene)
überbaupt berechnet auf 1000 der Bevölkerung
1880 1 764 096 39,1
1890 1 820 264 37,0
1900 2 060 657 36,8
1905 2 048 453 34,0
1910 1 982 836 30,7
1911 1 927 039 29,5
1912 1 925 883 29,1
Dieser Geburtenrückgang, auf den ich in einem besonderen Artikel (Abschnitt 43 b.) näher
eingehe, ist, wie Rudolf Goldscheid treffend bemerkt, „die notwendige Resultante im Parallelo-
gramm der gesamten historischen Kräfte.“ Als solche wirken hier mit: grössere Langlebigkeit,
späteres Heiratsalter und längere Ausbildungszeit in den höheren Gesellschaftsklassen, Steigerung
der Lebensansprüche, Kampf um Reichtum und Wissen, Ausbreitung des weiblichen ausserhäuslichen
Erwerbs. Anwachsen der städtischen, unter teueren Wohnungs- und Lebensverhältnissen leidenden
Bevölkerung, grösseres Verantwortungsgefühl in bezug auf Aufzucht der in die Welt gesetzten
Kinder auch bei der Arbeiterschaft. Ebenso sind geburtenhemmend: Kinderschutz, Schulzwang
und allgemeine Militärpflicht, sie haben zur Folge, dass das Kind länger als früher ein un-
produktiver und kürzer als zuvor ein produktiver Faktor ist. Nebenher mögen auch, zum Teil
im Zusammenhang mit den erwähnten wirtschaftlichen Ursachen, eine Reihe sozialpathologischer
Momente (Zunahme der prophylaktischen Aborten, Geschlechtskrankheiten, Nervosität usw.) in
Betracht kommen.
Die sinkenden Geburtenziffern, die übrigens noch keineswegs das Zweikindersystem in
Deutschland deklarieren, können einstweilen noch nicht als Degenerationssymptome gelten. Die
geringere Natalität wird stark überkompensiert von der höheren Lebenskraft und Lebensdauer der
geborenen Bevölkerung, die sich vor allem in der zurückgehenden Sterbehäufigkeit äussert.
Die Sterbeverhältnisse haben sich gerade in den letzten Jahrzehnten sehr erfreulich
verbessert. Die Zahl der Gestorbenen betrug 1912 1,086 Millionen — eine Zahl, die schon absolut
niedriger ist als in früheren Jahren, wo beispielsweise im Jahre 1900 bei einer kleineren Volksziffer
1,3 Mill'onen starben. Besonders deutlich erhellt aber die Verbesserung der Sterbeverhältnisse aus
der relativen Zahl: 1912 betrug die Sterbeziffer 16,4 vom Tausend der Bevölkerung, 1900 dagegen
noch 23,2 °;.., 1890 25,6 %/o, 1880 27,5 %0! Das Jahr 1911 mit 1,19 Millionen Gestorbenen oder
18,2 °,, kann wegen seines anormalen Charakters (grosse Sommerhitze) zum Vergleich nicht
gut herangezogen werden.
Diese Verbesserungen der Sterbeverhältnisse bedeuten — positiv ausgedrückt — eine
längere Erhaltung der Lebenskraft, eine Verlängerungder Lebensdauer.
Es ist die mittlere Lebensdauer (d. i. die Zahl der Jahre, die durchschnittlich von jedem
Mitglied einer Generation unter den obwaltenden Sterbeverhältnissen durchlebt werden) in
den Jahrzehnten 1871/80 bis 1901/10 beim männlichen Geschlecht von 35,58 auf 44,82 Jahre
oder um 25,97%, beim weiblichen von 38,45 auf 48,33 oder um 25,70% gestiegen:
Mittlere Lebensdauer
1871/80 1881/90 1891/1900 1901/10
männliches Geschlecht 35,58 Jahre 37,17 Jahre 40,56 Jahre 44,82 Jahre
wejbliches Geschlecht 3845. 10,235. 43,97 48,33 „
Mitbin Zunahme
1871/80—1881/90 1881/90—1891/1900 1891/1900— 1901/10 1871/80—1901/10
mäunliches Geschlecht 1,50 Jahre 33) Jahre 4,26 Jahre 9.24 Jahre = 25.97 %
weibliches Geschlecht 1,8 3,72 14,36 „ IE 5, = 350%
Noch stärker hat die sogenannte „wahrscheinliche Lebensdauer“ zugenommen. Man
versteht hierunter das Alter, bis zu dem die Hälfte aller Personen gestorben ist, so dass also