Carl Bachem, Zentrumspartei. 19
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Staat. Einseitig kirchenpolitische Parteibildungen entsprechen daher ebensowenig der vollen Aus-
wirkung des menschlichen Lebens wie einseitig und ausschliesslich verfassungs-, wirtschafts- oder
sozialpolitische Parteibildungen. Wo solche versucht werden, sehen sie sich bald gezwungen, auch
zu demkirchenpolitischen Teile des staatlichen Lebens Stellung zunehmen, wenn sie nicht lähmender
und hemmende: Einseitigkeit verfallen wollen. In der Wirklichkeit sehen wir denn auch, dass alle
grossen Parteien sowohl zum Staat wie zu den kirchenpvlitischen Fragen Stellung nehmen. Es ist
naturgemäss, dass diese Stellungnahme dann mitbestimmend ist für den Auschluss der Wähler an
die eine oder die andere Partei. Soweit diese Stellungnahme dazu führt, dass die verfassungsmässige
staatliche Parität der grossen christlichen Bekenntnisse anerkannt wird, ist eine solche Partei dann
aber nicht eine konfessionelle, sondern in diesem Sinne eine politisch-paritätische, wenn auch
ihre einzelnen Mitglieder auf religiößsem Gebiet sich ihre persönliche religiös-konfessionelle Über-
zeugung und die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche über die Anerkennung der staatlichen Parität
hinweg durchaus wahren. Das bleibt selbst dann wahr, wenn die konfessionelle Zugehörigkeit der
grossen Mehrzahl der Mitglieder einer Partei dazu führt, im politischen Leben die Interessen des
einen oder anderen Bekenntnisses besonders zu betonen. ‘
So kommt es, dass in der heutigen konkreten Ausgestaltung unseres Parteilebens die konser-
vativen Parteien tatsächlich und im allgemeinen mit den Anhängern des orthodoxen, kirchen-
treuen Protestantismus zusammenfallen, die liberalen Parteien mit den Anhängern des liberalen
Protestantismus, die Sozialdemokratie mit den Anhängern der materialistischen Weltanschauung.
In demselben Sinne kann man sagen, dass die Zentrumspartei im allgemeinen zusammenfällt mit
den Anhängern der christlichen Weltanschauung, wie sie von der katholischen Kirche vertreten
wird. Wie aber die konservativen und liberalen Parteien grundsätzlich keinen Katholiken ab-
weisen und wie nach deren staatspolitischen Prinzipien auch Katholiken der Beitritt zu ihnen mög-
lich ist, so umgekehrt auch beim Zentrum: Sein „‚konfessioneller‘‘ Charakter ist nichts weniger als
exklusiv katholisch; es hält allen Protestanten, welche seiner politischen Grundauffassung zu-
stimmen, den Beitritt offen; und sogar noch mehr: es legt entscheidenden Wert darauf, politisch
auf dem Boden des Parlamentes wie innerhalb des eigenen Fraktionsverbandes mit allen Prote-
stanten zusammenzuarbeiten, welche gleich ihm für die religiöse Freiheit und das Recht der Reli-
gionsgesellschaften eintreten. Nach seiner ursprüuglichen Konstruktion war das Zentrum sogar
auf ein solches Zusammenarbeiten geradezu angelegt. Wenn dann in der geschichtlichen Ent-
wicklung nur verhältnismässig wenige Protestanten zum Zentrum traten und schliesslich nur eia-
zelne bei ihm verblieben, so dass das Zentrum heute äusserlich als eine Partei erscheint, welche
fast nur aus Katholiken besteht, so ist daran die Zurückhaltung der Protestanten schuld, welche
der Absicht der Gründer wie der späteren Führer des Zentrums durchaus widerstrebte. Allerdings
scheint es auch, dass die Überwindung des wirtschaftlichen und sozialen Standesegoismus, welche
zur Annahme der wirtschafts- und sozialpolitischen Seite des Zentrumsprogramms unentbehrlich
ist, als Voraussetzung einer besonderen Intensität der altruistischen, aus religiösen Empfindungen
genährten Grundstimmung bedarf, wie sie sich in den kirchentreuen Kreisen des katholischen
Volksteiles findet.
Dem ursprünglichen Charakter des Zentrums entspricht es, wenn die massgebenden Führer
des Zentrums stets betonten, dass ihre Partei eine „christliche‘ sei und auf dem „Boden der christ-
lichen Weltanschauung‘ stehe. Es sollte damit ausgesprochen werden, dass sowohl gläubigen
Katholiken als gläubigen Protestanten, welche die politischen Grundsätze des Programms aner-
kennen und also ‚insbesondere das Recht der Religionsgesellschaften‘“ schützen wollten, das Tor
zum Zentrum gleicherweise offen stände und dass beide innerhalb der Fraktion gleichberechtigt
zusammenarbeiten sollten. Es sollte damit der zwingenden Natur des paritätischen Charakters
der deutschen Verbältnisse Rechnung getragen und der Überzeugung Ausdruck gegeben werden,
dass auf staatlichem und parlamentarischem Gebiet der konfessionelle Zwiespalt durch
einträchtige politische Arbeit zum Wohle des Vaterlandes überbrückt werden könne, soweit nur
die Anhänger beider Konfessionen, was ihren religiösen Glauben anlangt, sich gegenseitig
mit der vollen bürgerlichen Achtung und auf dem staatlichen Boden mit friedfertigem
Sinne begegnen. Es sollte endlich damit gesagt sein, dass man auf dem Boden der Zentrums-
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