Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Cart Bacheın, Zentrumsparlei. 9A 
er sich auf. Tatsächlich waren die weitaus meisten Mitglieder des Klubs in politischer Hinsicht 
„‚grossdeutsch“ gesinnt. 
In der gleichzeitig tagenden Preussischen Nationalversammlung in Berlin kam es auch wohl 
zu einem Zusammenwirken der katholischen Abgeordneten im Sinne der Sicherung der kirchlichen 
Freiheit durch die neu zu schaffende Verfassung, doch noch nicht zu einer festen Organisation. Der 
Mittelpunkt dieser Bestrebungen war hier der Kölner Erzbischof Johannes von Geissel. Ein solches 
Zusammenwirken der katholischen Abgeordneten bei kirchlichen Fragen ohne förmliche Orgeni- 
sation wiederholte sich in Berlin in der Zweiten Kammer während der beiden ersten Legislatur- 
perioden des neuen preussischen Landtags 1849 und 1849/52. Als Führer erscheint in dieser Zeit 
der Abg. Osterath. In Berlin wie in Frankfurt ist als Ergebnis zu verzeichnen, dass die kirchen- 
politischen Bestimmungen im preussischen Verfassungsentwurf wie in den Grundrechten der 
Deutschen eine Fassung fanden, welche im allgemeinen der Bedeutung der katholischen Kirche 
gerecht wurde und für diese annehmbar war. Diese Bestimmungen gingen im wesentlichen in 
die preussische oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 und später in die endgültige preussische 
Verfassung vom 31. Januar 1850 über. ' 
Einen entscheidenden Schritt der Fortentwicklung brachte in Preussen die Wahl des Jahres 
1852. Kurz vorher waren die „Raumer’schen Erlasse“ ergangen, welche die soeben verfassungs- 
mässig festgelegte Kirchenfreiheit für die Katholiken wieder in mehreren Punkten zu beschränken 
suchten. Der Erfolg war die Wahl von 63 strengkirchlichen katholischen Abgeordneten, welche 
alsbald zur „Katholischen Fraktion‘ zusammentraten, um die Freiheit der katholischen Kirche 
und die Parität des katholischen Volksteils zu schützen. Unter dem Einfluss der Gebrüder Rei- 
chensperger gewann die Fraktion bald auch eine, obgleich noch nicht ganz einheitliche politische 
Färbung, zumal nachdem die „feudalen‘ Mitglieder sich zurückgezogen hatten. Diese Färbung 
war im wesentlichen konstitutionell-liberal im damaligen Sinne. Aufrechterhaltung der 
Verfassung im“ allgemeinen, Aufrechterhaltung der Rechtsstellung der katholischen Kirche 
im besonderen, Konfessionalität der Volksschule, individuelle Freiheit, kommunale Selbstverwaltung 
in Gemeinde, Kreis und Provinz, politische Gleichberechtigung der Konfessionen und aller Staats- 
bürger wurden die Richtlinien ihrer Politik. 
Dieser Entwicklung entsprach es, dass schon nach der Wahl von 1855 die beiden 
Reichensperger den Versuch machten, den konfessionellen Namen der Fraktion zu ersetzen 
durch einen politischen. Tatsächlich war die Fraktion bereits eine politische Fıaktion nur 
mit konfessioneller Firma. Aus dem Grundsatz der Verfassungstreue hatte sie die Folgerung 
gezogen, dass sie die Rechtsstellung der evangelischen Landeskirche und der Juden ebenso 
verteidigte, wie die Rechtsstellung der katholischen Kirche. An allen rein politischen Verhand- 
lungen hatte sie sich eifrig beteiligt. Doch der Versuch misslang vorerst. Er wurde aber 
erneuert und nach den Wahlen von 1858 gelang es den Namen zu ändern in „Fraktion des Zentrums 
(Katholische Fraktion)“. Am 17. Januar 1859 unterzeichneten 57 Mitglieder die neuen Satzungen. 
Deren erster Satz lautete: „Aufgabe der Fraktion ist die Vorberatung aller das Haus der Abgeord- 
neten beschäftigenden Gegenstände.‘ Nach den Wahlen von 1861 stellte Mallincktodt den Antrag, 
die „korfessionelle Klammer“ aus der Bezeichnung der Fraktion zu streichen, doch ohne Erfolg. 
Endlich im Mai 1862, als die Fraktion durch die Neuwahl von 1862 bereits stark geschwächt worden 
war, gelang es auf Antrag Mallinckrodts, die konfessionelle Klammer zu beseitigen. Fortan hiess 
die Fraktion nur „Zentrum“. Doch ihre Zeit war vorbei. Der Militärkonflikt brachte Verwirrung 
in die Reihen ihrer Wähler und führte diese scharenweise der Linken zu. Sie hielt sich noch bis 
1867, dann trat sie nicht wieder zusammen. 
Nach dem deutsch-österreichischen Kriege von 1866 und der Bildung des Norddeutschen 
Bundes zeigte sich in der Entwicklung des herrschenden Liberalismus eine Seite immer stärker, 
welche in der Zeit von 1848 bis 1860 weniger scharf hervorgetreten war: der politische Liberalis- 
mus identifizierte sich mehr und mehr mit dem ki:chlichen, indem er sein individualistisches Prinzip 
aus der Politik in die Sphäre der Religion übertrug. Daraus ergab sich eine heftige Feindschaft 
gegen die katholische Kirche, welche gar manchmal zu höchst verletzendem Ausdruck kam. Zu- 
gleich übertrieb der Liberalismus sein individualistisches Freiheitsprinzip auch auf politischem
	        
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