60. Abschnitt.
a) Die Konzentration in der Montanindustrie.
Von
Universitätsprofessor Dr. Robert Liefmann, Freiburg i. B.
Literatur:
Heymann, Die gemischten Werke im deutschen Grosseisengewerbe. Stuttgart und Berlin
1904. Liefmann, Kartelle und Trusts und die Weiterbildung der volksw. Organisation. 2. Auflage. Stutt-
gart 1910. Kontradiktorische Verhandlungen über deutsche Kartelle, Berlin 1903-6, Denkschrift über das
Kartellwesen, 4 Teile, Berlin 1906
Konzentration ist der allgemeinste Ausdruck für eine Reihe von Entwicklungs-
erscheinungen in der modernen Volkswirtschaft, die in allen vorgeschrittenen Ländern,
besonders aber in Deutschland und den Vereinigten Staaten eine grosse Bedeutung erlangt
haben. Sie bestehen in der Tendenz der Unternehmer zum Zusammenschluss. Zwei Haupt-
formen pflegt man zu unterscheiden: Kartelle und Trusts. Die Kartelle sind
monopolistische Vereinigungen zwischen selbständig bleibenden Unternehmern
desselben Erwerbszweiges, die also nur die Konkurrenz in bestimmten Richtungen durch
Verträge einschränken. Bei den sog. Trusts dagegen handelt es sich um die Zusammen-
fassung mehrerer Unternehmungen zu einer einzigen. Beides sind aber nur die Haupt-
typen: neben den eigentlichen Kartellen gibt es noch andere Formen bloss vertragsmässigen
Zusammenschlussesder Unternehmer:Abnehmerverbände,Konditionenvereinbarungen,
Interessengemeinschaften. Und Trust ist nur die populäre Bezeichnung für drei
verschiedene Formen des Erwerbs und Besitzes einer Unternehmung durch eine andere:
Fusion, bei welcher die eine vollständig in der anderen aufgeht; Kontrollgesellschaft,
bei welcher eine Unternehmung andere durch Besitz von mindestens der Hälfte ihres Aktien-
kapitals finanziell beherrscht, und der eigentliche, heute aber kaum mehr vorkommende
Trust im amerikanischen Rechtssinne.
Deutschland haben die Kartelle vor allen Konzentrationsformen die grösste
Bedeutung erlangt und zwar war dabei die Montanindustrie vorbildlich, und auch heute noch
sind die Kartelle der zu ihr gehörigen Wirtschaftszweige die wichtigsten. Wenn auch
einzelne Kartelle in die 60er Jahre zurückreichen (Weissblechsyndikat 1863), so beginnt
doch die eigentliche Kartellbewegung erst in der zweiten Hälfte der 70 Jahre. Damals ent-
standen das Schienenkartell, dessen billigere Auslandsverkäufe zum ersten Male die Auf-
merksamkeit auf diese neuen Bildungen lenkten, die ersten Förderkonventionen der Ruhr-
zechen, die ersten Roheisenverbände u. a. Es waren das jedoch ganz lose und sehr vergäng-
liche Gebilde: blosse Preis- oder Produktionskartelle. Zu einer festeren Organisation gelangte
zuerst die westfälische Koksproduktion, die sich 1890 zum Westfälischen Koks-
syndikat zusammenschloss. Die Form dieses Kartells: Auftragsverteilung wurde vor-
bildlich für zahlreiche andere. Ein als Aktiengesellschaft errichtetes Verkaufsbüro unter
obigem Namen verteilte alle eingehenden Aufträge an die Mitglieder im Verhältnis ihrer
Beteiligungsziffer. 1893 entstand in dieser Form das Rheinisch-westfälische
Kohlensyndikat, das später das Kokssyndikat und den Brikettverkaufsverein in sich
aufnahm und bis heute in der ganzen Montanindustrie tonangebend geblieben ist.
Auch die Eisenindustrie nahm bald diese Kartellform an, doch blieben die meisten,
z. B. die Roheisensyndikate nur territoriale Bildungen, aber auch die ganz Deutschland um-
fassenden Verbände, wie der Halbzeugverband, das Walzdraht- und das Drahtstiftsyndikat,
die Röhren-, Träger- und Feinblechsyndikate waren nicht von langer Dauer. Erst 1903
gelang die Zusammenfassung der Halbfabrikate, Schienen und Träger im deutschen