98 Adolf Weissler, Die Rechtsanwaltschaft.
in
gebung von 1780. Die Advokatur wurde abgeschafft. Zur Beratung und Vernehmung der Parteien
wurden festbesoldete Assistenzräteernannt, aber nur für grössere Sachen, daher in geringer
Zahl. Zur Entschädigung der entlassenen Advokaten wurde das Amt der Justizkommis-
sare geschaffen, denen die freiwillige Gerichtsbarkeit, vorzugsweise das Notariat, daneben eine
ganz beschränkte Prozesstätigkeit, eingeräumt war. Aber gerade diese letzte wurde schon 1782
erweitert und 1783 ihnen ganz zurückgegeben, die Assistenzrat-Einrichtung aufgehoben. Das Er-
gebnis der auf Abschaffung der Advokatur gerichteten Bewegung war sonach, dass unter den Namen
Justizkommissare die Advokaten mit bedeutend (durch das Notariat) erweitertem Wirkungskreise
wieder einzogen. Die am 6. Juli 1793 verkündete Allgemeine Gerichtsordnung bestätigte diesen
Zustand, und gab dem Stande die Verfassung, die er im wesentlichen bis 1879 beibehalten hat.
Darnach werden die Justizkommissare von der Justizverwaltung ernannt, und zwar für ein
bestimmtes Gericht. Ihre Vorbildung ist die richterliche. Sie sind Beamte. Aufsicht und Diszıplın
übt das Obergericht, seit der Verordnung vom 30. Aprıl 1847 ein von den Justizkommissaren aus
ihrer Mitte gewählter Ehrenrat. Das Notariat ist regelmässig mit dem Amte verbunden. Die
Ernennungen erfolgten so sparsam, dass das Amt ın der Regel ein sicheres und gutes Einkommen ge-
währte und von Richtern vielfach erstrebt wurde;?) andererseits wurde dafür gesorgt, dass auch die
kleineren Gerichte mıt Anwälten versorgt waren. Die grosse Umwälzung von 1848 liess diese Ver-
fassung unberührt; nur dass die Kgl. Verordnung vom 2. Januar 1849 den Namen ‚Rechtsanwalt
einführte, der seit Anfang des Jahrhunderts gebräuchlich geworden war und nichts anderes als den
Gerichts-Prokurator (Rechts= Gerichts; Anwalt= Bevollmächtigter oder Prokurator) bedeutet.
Alles dies galt nur für Altpreussen. In der Rheinprovinz war, als sie an Preussen kam, die fran-
zösische Verfassung in Geltung, welche die Zweiteilung des Berufs in der Form beibehalten hatte, dass
die Partei vertreten wırd durch einen procureur, später avou& genannt, der die Sache vorbereitet und
dann zur Fertigung der Schriftsätze und mündlichen Verhandlung an den avocat abgibt, der seiner-
seits aber nicht Parteivertreter ıst und daher ın der mündlichen Verhandlung den avou& neben
sich haben muss. Zum mündlichen Vortrag ist in der Regel nur der Advokat berechtigt. Die
Prokuratur ist ein Amt, allerdings ein käufliches, die Advokatur ist freigegeben. Die Advokatur
unterwirft sich keiner Gebührenordnung und klagt Gebühren nicht ein. Anwaltszwang besteht in
der Gestalt, dass dıe Partei zur Bestellung eines avoue& verpflichtet ist. Anwaltskammern bestehen
für beide Berufe. Das Notariat ist von ihnen getrennt.
Diese Verfassung war der deutschen entgegengesetzt, nach welcher umgekehrt der Proku-
rator, nicht aber der Advokat, zum Auftreten vor Gericht berechtigt war. Sie wurde denn auch sofort
nach dem Sturze der französischen Herrschaft aufgehoben und das Amt der avou&s mit dem der
Advokaten unter dem Namen Advokat-Anwaltschaft zu einem Amte vereinigt, neben
dem aber eine freigegebene Advokatur bestand, der grundsätzlich das Recht, vor Gericht aufzu-
treten, entzogen war. Diese Verfassung bestand in allen linksrheinischen Gebieten und wurde 1850
auch in Hannover und Braunschweig eingeführt.
Die minderberechtigte Advokatur dieser Gebiete war etwas ganz anderes als die Advokatur
in den übrigen deutschen Staaten; ın diesen hätte also eine Freigabe der Advokatur eine ganz
Enge
1) Im Reichskammergerichte war der Prokurator zugleich Advokat, der Advokat aber nicht zugleich
Prokurator, die Prokuratur das angesehenere, meistens auch ertragreichere Amt, die Advokatur die Vorstufe dazu.
Aber hier war von Anfang an gelehrte Bildung, Prüfung und Vorbereitungsdienst gefordert, die Zahl der Proku-
ratoren‘ (nicht der Advokaten) fest bestimmt. Eine ähnliche Verfassung herrschte bei den Hofgerichten.
2) Ein Bild geben folgende Zahlen:
Zahl der preussi- Auf einen Rechts-
Jahr schen Rechts- anwalt entfiel eine
auwälte Seelenzahl von
1851 1629 9997
1856 1542 10766
1861 1595 11114
1870 2376 10050
1876 2102 11705
1879 2100 12218