Julius Pierstorff, Die Frau in der Wirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts. 115
EEE TE
lichem Urteil in zahllosen Fällen Verlagerungen der Organe, gesteigerte Schwangerschaftsbeschwer-
den und vor allen Dingen eine verfrühte Geburt zur Folge. Kinder von Müttern, welche bis kurz
vor der Niederkunft arbeiten mussten, kommen mit leichteren Gewicht zur Welt. Die Statistik
der Leipziger Ortskrankenkasse ergibt, dass bei den weiblichen Pf.ichtmitgliedern Früh- und Fehl-
seburten siebenmal so häufig vorkommen, als bei den freiwilligen Mitgliedern, d. h. bei denen, die
längere Zeit vor der N ederkunft aus der Kassenpflicht ausscheiden, sich also aus dem Erwerbs-
verhältnis zurückziehen konnten. Bei einzelnen Berufsarten ist das Zahlenverhältnis noch weit
ungünstiger.
Mit zunehmender Länge der Stillzeit verringert sich die Säuglingssterblichkeit. In den un-
mittelbaren Städten Bayerns fand sich nach Mayet bei einer durchschnittlichen Stillzeit von nur
27 Tagen eine Säuglingssterblichkeit von 30 bis 40 Proz. und darüber. Einer durchschnittlichen
Stilldauer von 2 Monaten und 24 Tagen entsprach eine Sterblichkeit von 20 bis 30 Proz. und bei
einer Stilldauer von 3% Monaten und mehr ergab sich die niedrigste Sterblichkeit von 10 bis 20
Proz. Mit der Aneıkennung dieser Tatsachen ist aber noch keineswegs die Frage entschieden, ob
das Reich es hätte rechtfertigen können die Krankenkassen, deren Beiträge zu zwei Drittel von
der Arbeiterschaft aufgebracht werden, und denen das Reich selbst keine Zuschüsse gewährt, all-
gemein mit der Verpflichtung zu einer so ausgedehnten Mutterschaftsversicherung, wie se viel-
fach gefordert wird, zu belasten statt, wıe geschehen, die Einrichtung einer weitergehenden Mutter-
schaftsversicherung ihren eigenen Entschlüssen zu überlassen. Würden sich doch die Kosten einer
staatlich durchgeführten Mutterschaftsversicherung für das Deutsche Reich nach angestellten
Berechnungen auf nicht weniger als etwa 135 Mill. M. im Jahre belaufen.
Die Mutterschutzbestrebungen erschöpfen sich indessen nicht mit der Mutterschaftsver-
sicherung. Sie richten sich weiter auf den Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung mit Rücksicht
auf stillende Frauen, auf die Gewährung von Stilipausen und Einrichtung von Stillstuben in jeder
Fabrik. Insbesondere suchen sie die Lage der unehelichen Mütter zu verbessern, welche teilweise
in höherem Masse der Hilfe bedürfen, als ın den unteren Klassen die Ehefrauen. Ausser der not-
wendigen Pflege für sich und ihre Kinder bedürfen sie oft vor allem einer Unterkunft, wo die eigene
Familie ihnen eine solche nicht bietet. Überdies gilt es ihre Rechtslage zu bessern, ihre Alimenta-
tionsansprüche gerechter und wirksamer zu gestalten, auch ihnen behilflich zu sein bei der Geltend-
machung ihrer Ansprüche. Im Zusammenhang hiermit ist der Bund für Mutterschutz bestrebt,
die.-Lage der unehelichen Kinder günstiger zu gestalten durch erbrechtliche Gleichstellung mit
den ehelichen, iachmännische Ausgestaltung der Fürsorge- und Zwangserziehung, allgemeine
Einführung der Berufsvormundschaft für uneheliche Kinder usw. Die. hiermit erstrebten humani-
tären Ziele, deren Verwirklichung ohnehin mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, werden
indessen schwerlich gefördert, wenn, wie vereinzelt geschehen, die auf die Verbesserung der Lage
der unehelichen Mütter und Kinder gerichteten Schritte in der Absicht unternommen werden, eine
neue Sozialethik anzubahnen, d. h. die legale Institution der Ehe und der auf ihr gegründeten
Familie zu gunsten freierer Liebesverhältnisse systematisch zu erschüttern.
II. Ehe- und Ehegüterrecht des B. @.B. und seine Fortschritte gegenüber
dem früheren Recht
(bezw. Reform des Ehe- und Ehegüterrechts).
In der allgemeinen Rechtsstellung der Frau hat das B.G.B. keine durchgreifenden Änderungen
bewirkt. Der unverheirateten Frau, ledig oder verwitwet, war schon vorher durch die Entwicklung
des Privatrechts fast völlige Gleichberechtigung mit dem Manne eingeräumt. Neu war nur die unbe-
schränkte Zulassung auch der unverheirateten Frauen zur Vormundschaft. Ausserdem
erhielten alle Frauen, verheiratete wie unverheiratete, das Recht, als Zeugen bei der Eheschliessung
und bei Testamentsaufnahmen zu fungieren.
Bedeutungsvoller waren die Verbesserungen, welche die Rechtsstellung der Frau in der
Ehe erfuhr. Im allgemeinen wurde auch für die verheirateten Frauen der Grundsatz der Gleich-
berechtigung strenger durchgeführt und nur soweit hiervon abgewichen, als es durch das Wesen der
g*