118 Julius Pierstor/f, Die Frau in der Wirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts.
der Mutterrechte. So lange der Vater lebt, wird zwar die elterliche Gewalt von ihm allein ausgeübt
und nimmt die Mutter lediglich an dem Recht und der Pflicht für das Kind zu sorgen teil, mit der
Beschränkung, dass bei Meinungsverschiedenheiten der Vater entscheidet. Stirbt jedoch der Vater,
so geht die Ausübung der elterlichen Gewalt zugleich mit der Nutzniessung am Vermögen des
Kindes auf die Mutter über, wenn auch auf letztwillige Verfügung des verstorbenen Mannes hin ihr
ein Beistand bestellt werden kann. Im Unterschied von dem früheren gemeinen Recht und den auf
ihm beruhenden Gesetzen, welche keine der väterlichen grundsätzlich gleichstehende mütterliche
Gewalt kannte, ist hier der Grundsatz der vollen Handlungsfähigkeit der Frauen zur konsequenten
Durchführung gebracht.
In einigen Fällen bleibt die Stellung der Frau auch jetzt noch ungünstiger als die des Mannes.
So ist der geschiedenen Frau, selbst wenn ihr die Erziehung der Kinder anheimfällt, das Recht der
Vertretung und der Vermögensverwaltung versagt, während der Vater im gleichen Falle die vollen
Elternrechte geniesst. Völlig ausgeschlossen von der elterlichen Gewalt ist die uneheliche Mutter.
Höchstens kann ihr die Vormundschaft über ıhr Kind übertragen werden. Die Verpflichtung des
Vaters zum Unterhalte seines unehelichen Kindes endet schon, wenn das letztere das 16. Lebens-
jahr erreicht, es sei denn, dass das Kind in diesem Zeitpunkte infolge körperlicher oder geistiger
Gebrechen ausser Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Erscheint hier die Unterhaltspflicht des
Vaters zu eng begrenzt, so ist andererseits insofern die Lage der unehelichen Mutter wesentlich
gebessert, als im Gegensatz zur früheren Zeit alle aus dem persönlichen Verhalten der Mutter abge-
leiteten Einreden gegen die Ansprüche der Mutter und gegen die Alimentenforderungen des Kindes
beseitigt sind.
Erheblich günstiger als das B.G.B. hat das schweizerische Zivilgesetzbuch die uneheliche
Mutter und das uneheliche Kind gestellt. Hier kann in bestimmten Fällen der Mutter, abgesehen
von der Schadloshaltung, eine Geldsumme als Genugtuung zuerkannt und unter den gleichen Vor-
aussetzungen das Kind dem Vater mit Standesfolge zugesprochen werden. Erst mit der Vollendung
des 18. Lebensjahres endet in der Regel die Alimentationspflicht und ist die Vormundschaftsbehörde
berechtigt, das Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter zu stellen.
Aber mögen auch nicht alle berechtigten Frauenwünsche im B.G.B. erfüllt erscheinen, so ıst
doch alles, was es etwa in dieser Beziehung vermissen lässt, von untergeordneter Bedeutung gegen-
über der grossen Verbesserung, welche die Rechtsstellung der Frauen durch dasselbe erfahren hat.
In allem wesentlichen dürfte die erfolgte Regelung der Frauenrechte durchaus den Anforderungen
und Bedürfnissen der modernen Zeit entsprechen.