130 Adolf Matthias, Höhere Schulen.
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Ausserdem schliesst Württemberg beim Postfach die Oberrealschule aus, beim Staatsbau-
und Maschinenfach fordert es von den Gymnasialabıturienten den Nachweis englischer Sprach-
kenntnisse, während Mecklenburg-Schwerin von diesem Fach die Oberrealschüler ausschliesst.
Für das Forstfach haben in Württemberg und Mecklenburg-Schwerin die Oberrealschulabiturienten
keinen Zutritt
Im ganzen und grossen ist also die Kette der Gleichberechtigung aller drei Schularten ge-
schlossen. Wenn die Erfahrungen, die unter Preussens Führung in allen den Staaten gemacht werden,
welche die weitherzigsten Bestimmungen getroffen haben, günstige sind, so werden sicherlich weitere
Fortschritte auf diesem Gebiete gemacht und jedenfalls solche seltsamen Widersprüche verschwinden,
wie zwischen Württemberg und Mecklenburg-Schwerin im Staatsbau- und Maschinenfach.
4.AusblickindieweitereEntwicklungdeshöherenSchulwesens.
Die Zunahme der Realanstalten ım letzten Jahrzehnt weist darauf hin, wie in Zukunft die Ent-
wicklung unseres Schulwesens verlaufen wırd. Einige vergleichende Zahlen mögen das erweisen.
Vor dem Beginne der Schulreform in Preussen vom Jahre 1900 waren im Winter 1899/1900 341
gymnasiale Anstalten vorhanden, ım Winter 1908/1909, also neun Jahre später, 371; das macht
eine Zunahme von 9 vom Hundert; realgymnasiale Anstalten gabes Winter 1899/1900: 100; 1908/1909
183, also eine Vermehrung von 83 vom Hundert; lateinlose Realschulen und Oberrealschulen 1899
bis 1900: 167, 1908/1909: 254, also Zunahme von 52 vom Hundert. Trotz der erfreulichen Zunahme
der Realanstalten ıst noch ein Missstand vorhanden, dem die Zukunft abhelfen muss. Es ıst nämlich
trotz der Anerkennung der Gleichwertigkeit der drei höheren Schularten, trotz der grösstenteils
durchgeführten Gleichberechtigung derselben das Gymnasium gleichwohl noch eine Art von Zwangs-
anstalt für weite Kreise geblieben. Es gibt in Preussen augenblicklich 593 Vollanstalten (341 Gym-
nasien, 159 Realgymnasien und 93 Oberrealschulen); diese verteilen sich auf 352 Städte. Von diesen
haben 187 nur gymnasiale Vollanstalten. Also allen Eltern, die an einem solchen Orte wohnen und
Ihre Kinder bis zum Abiturientenexamen gehen lassen wollen, sind gezwungen, sie das Gymnasıum
durchmachen zu lassen; auch wenn ein Schüler Technik oder Naturwissenschaften studieren will,
so muss er durch das Gymnasium gehen. Unter diesen 187 Anstalten sind wiederum 107, die nicht
einmal Ersatzunterricht für das Griechische durch das Englische von Untertertia bis Untersekunda
haben; es muss also jeder, der das Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis erlangen will, Lateinisch und
Griechisch lernen. Ein weiterer Missstand, den dieses ungerechte Vorherrschen des Gymnasiums
mit sich bringt, liegt darin, dass jeder Offizier und Beamte, der öfterer Versetzung unterworfen Ist,
gezwungen ist, auch in den Städten, wo er die Auswahl hat, das Gymnasıum für seine Söhne zu
wählen. Es ist deshalb die Forderung, die von den Freunden vollster Gleichberechtigung und
Gerechtigkeit gestellt wird, nicht unberechtigt, dass an allen isolierten Gymnasien der sogenannte
Ersatzunterricht, d. h. Englisch statt Griechisch in Untertertia bis Untersekunda ın Gymnasien
eingeführt werde und dass bei genügender Anzahl von Schülern, die nach Obersekunda übertreten
wollen, dieser englische Ersatzunterricht in realgymnasialen Oberklassen bis zum Abiturienten-
examen fortgesetzt wird. Andrerseits müsste zum Ausgleich an den wenigen isolierten Realgym-
nasien in den obersten Klassen für diejenigen Schüler gesorgt werden, welche für ihr späteres Studium
griechische Kenntnisse nachzuweisen haben. — Ein anderer Missstand in unserem höheren Schul-
wesen liegt darin, dass im Unterbau noch eine zu grosse Vielgestaltigkeit herrscht, die beim Über-
gange von einer Stadt in die andere und von einer Schulart zur anderen recht erhebliche Schwierig-
keiten und Verlegenheiten für Eltern und Schüler bereitet. Diese Vielgestaltigkeit würde ein Ende
nehmen können, wenn das sogenannte Frankfurter System an Umfang gewönne und, wo möglich,
zum einheitlichen Unterbau aller Schulen sich ausgestaltete. Auch deshalb erscheint diese Entwick-
lung wünschenswert, weil die Schulen nach dem Frankfurter System in engerer organischer Ver-
bindung mit der Volksschule stehen als Gymnasium und Realgymnasium alten Systems; denn ım
Deutschen, Rechnen und auch in Erdkunde verfügen sie über mehr Stunden als jene Anstalten mit
ihrem stark überwiegendem Latein auf der Unterstufe. Je mehr solche Schulen entstehen, um so
mehr sind die kleineren Städte, die sich überhaupt keine höhere Schule leisten können, ın der
glücklichen Lage im Hinblick auf nahegelegene Reformschulen durch gehobene Volksschulklassen
oder durch Mittelschulen sich zu helfen, und die Eltern sind nicht gezwungen, schon ım zehnten