Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

132 Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 
  
schal geworden, und die Universitäten als ihre Organe bedurften wie sie selbst einer gründlichen 
Reform. 
Diese kam durch den Humanismus. Zwar wurde nirgends eine rein humanistische Univer- 
sıität gegründet, auch in Wien vermochte sich das Collegium poetarum et mathematicorum der Uni- 
versität gegenüber als selbständige Anstalt nicht zu behaupten. Aber nicht nur die zahlreichen neu 
entstandenen, sondern auch die alten Universitäten nahmen neben der scholastischen Wissenschaft 
den humanistischen Geist in sich auf und fügten des zum Zeichen den vorhandenen philosophischen 
und theologischen neue humanistisch-philologische Lehrstühle hinzu. Diese Neuerung wurde be- 
stätigt und verstärkt durch die Reformation, welche die Kenntnis der drei Sprachen (Latein, 
Griechisch und Hebräisch) für die Theologen zur Bedingung machte. Aber auch der Katholizismus 
nahm an der humanistischen Bewegung teil und suchte sie durch den Jesuitenorden der alten Kirche 
dienstbar zu machen; so gerieten die meisten katholischen Universitäten nach und nach in dıe Hände 
der Jesuiten und wurden zu Ordensschulen mit den Privilegien von Hochschulen. Durch den kırch- 
lichen Gegensatz wurden aber auch die protestantischen Universitäten streng konfessionell, auch die 
protestantische Theologie wurde scholastisch oder blieb es, und die libertas philosophandi fehlte, 
wie das Bedenken Spinozas gegen seine Berufung nachHeidelberg zeigt, auch ihnen und den freiesten 
unter ihnen durchaus. 
Doch brachte der 30jährige Krieg langsam die Einsicht, dass die konfessionellen Streitig- 
keiten und Gegensätze ein Unglück seien für unser Volk, und von den Niederlanden, von England 
und Frankreich wehte ohnedies ein freierer Lufthauch herüber, der alsbald auch den deutschen Un1- 
versitäten zugute kam. In Preussen, wo der Grundsatz ‚cuius regio eius ‚‚religio‘‘ zuerst durch- 
brochen wurde, dachte der Grosse Kurfürst daran, in einer brandenburgischen Stadt für Ge- 
lehrte aller Welt, diedurch Glaubensverfolgung oder sonstige Tyrannei aus ihremVaterland verbannt 
waren, ein Asyl zu eröffnen, wo sie unbehelligt ihrer wissenschaftlichen Arbeit leben könnten. 
Verwirklicht aber wurde dieser utopische Gedanke in der anspruchsloseren Form der alten Uni- 
versitäten durch seinen Nachfolger Friedrich III. an der 1694 neugegründeten Hochschule zu Halle. 
Allein auch hier lebte die alte intolerante Praxis rasch wieder auf, das zeigen die Intriguen der 
Pietisten gegen den Philosophen Chr. Wolff und dessen brutale Ausweisung aus Preussen durch 
Friedrich Wilhelm I. Und so hat doch erst Hannover durch die Gründung Göttingens im Jahre 
1737 den Ruhm, eine auf dem Prinzip der freien Forschung aufgebaute Universität ins Leben ge- 
rufen zu haben; und gleich darauf folgte Erlangen, 1743 vom Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth 
gegründet, diesem Beispiel nach. Der Ratıionalısmus, der unter Friedrich dem Grossen 
Preussens Königsthron bestieg, besiegelte diese Errungenschaft weiterhin und sorgte überhaupt 
für Befreiung der weltlichen Wissenschaft von den theologischen und konfessionellen Fesseln 
auch in Deutschland. 
Die zwei ersten ganz modernen Universitäten aber traten doch erst im 19. Jahrhundert, 
1810 ın Berlin und 1811 ın Breslau, ins Leben. Ihnen prägte sich der Geist Schleiermachers und 
Wilhelm v. Humboldts, der Geist des Neuhumanısmus und unserer an Kantsich anschliessenden 
ıdealistischen Philosophie von Anfang an aufs glücklichste und wirksamste auf und ein. Aber 
noch vorher waresdochderGeistder Aufklärung, „die berlinische Freiheit zudenken und zuschreiben‘', 
die namentlich die erstere als gutes Erbteil mitbekommen hat. Der Grundsatz: ‚die Wissen- 
schaft und ihre Lehre ist frei“ wurde freilich erst in die Grundrechte des Frankfurter Parlaments 
aufgenommen, kodifizierte aber nur, was sich seit den Tagen der Aufklärung allmählich durch- 
gesetzt hatte. Er war von nun an Techt eigentlich die Magna charta der deutschen Uni- 
versitäten. Breslau aber war, im Gegensatz zu den bisherigen in allen Fakultäten einseitig kon- 
fessionell orientierten Universitäten, dıe erste nichtkonfessionelle simultane Anstalt mit 
zwei getrennten theologischen Fakultäten. Dass daneben auch in der philosophischen Fakultät 
aus Gründen praktischer Natur für das Fach der Philosophie eine Doppelbesetzung mit je einem 
Katholiken und einem Protestanten angeordnet wurde, war freilich ein böses Kuckucksei, das 
noch im 20. Jahrhundert im Fall Spahn und in dem Geheimvertrag mit der Kurie an der Strass- 
burger Universität als Präzedenzfall übel nachgewirkt hat. Indem W. von Humboldt die allgemeine 
Freizügigkeit der deutschen Studenten durchsetzte, schuf er damit über die Grenzen Preussens 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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