Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 133 
hinaus einen gemeinsamen Typus der deutschen Universitäten, der bei aller Verschiedenheit und 
individuellen Gestaltung der einzelnen doch ım grossen Ganzen hinfort ein allgemeiner deutsch 
nationaler war. 
Dazu kam, dass nach den Befreiungskriegen, an denen Professoren und Studenten mit Wort 
und Tat ruhmvollen Anteil genommen haben, gerade sie die entschiedensten Vorkämpfer des 
deutschen Einheits- und Freiheitsgedankens und dam't die Pfleger und Träger des nationalen Be- 
wusstseins in Deutschland wurden, was 1848 ım Frankfurter Parlament, das ein rechtes Professoren- 
parlament gewesen ist, noch einmal kräftig ın die Erscheinung getreten ist. Dass das Volk 
hinter seinen Professoren stand, dieses schöne Vertrauen hatten sich diese erworben durch die 
tapfere Tat der Göttinger Sieben, die gegen die Aufhebung der hannöverischen Verfassung pro- 
testierten und sich lieber absetzen als zum Huldigungsrevers zwingen liessen, weil sie mit Eiden 
kein leichtfertiges Spiel getrieben wissen wollten. 
Im neuen Reich haben die Universitäten und ıhre Professoren aufgehört, die politischen 
Führer zu sein. Doch zeigt die Überschrift über dem Kollegiengebäude der 1872 neu wiederaufge- 
richteten Universität zu Strassburg: lıteris et patriae, dass der enge Zusammenhang zwischen 
Universität und nationalen Gedanken und Aufgaben nach wie vor besteht und nicht zum wenigsten 
auch von dem grossen Realisten Bismarck in seiner Bedeutung und werbenden Kraft anerkannt 
worden Ist. 
Am Ende des 19. Jahrhunderts kam noch einmal etwas Neues, ein frischer Zweig am alten 
Stamm der deutschen Universitäten. Bei der Hundertjahrfeier der Charlottenburger Technischen 
Hochschule ım Jahr 1899 wurde dieser und mit ihr sämtlichen technischen Hochschulen Preussens 
das Promotionsrecht zum Doktor-Ingenieur verliehen und damit die Gleichberechtigung dieser 
modernen Anstalten mit den älteren Universitäten Öffentlich ausgesprochen; auch hier folgten die 
übrigen deutschen Staaten dem Vorgehen Preussens alsbald nach. Manche sahen darin freilich 
so etwas wie eine Minderung des Ansehens der Universitäten: gewiss nıcht mit Recht. Es war nur 
ein Zeichen unserer realistisch und immer mehr auch technisch gewordenen Zeit und eine Aner- 
kennung der Wichtigkeit und des Wertes der Technik für unsere Kultur. Die Gründung besonderer 
Lehranstalten für sie war nıcht viel älter als 100 Jahre. Parıs hat mit der ecole polytechnique am 
Ende des 18. Jahrhunderts auch hier wieder den Anfang gemacht und das Muster gegeben. Auf 
die Höhe einer Hochschule aber wurde zuerst das eidgenössische Polytechnikum in Zürich um die 
Mitte des 19. Jahrhunderts gehoben, dem sich dann die deutschen rasch anschlossen; und so war 
jene Verleihung des Universitätscharakters im Jahre 1899 nur das äussere Siegel auf die innere, 
rasche und stetige Entwicklung dieser Anstalten selbst. Hineinzuwachsen in den freien Geist der 
älteren Schwestern ist hinfort ihre Sache, und ist eine Aufgabe, die sich nicht so ohne weiteres 
von selbst versteht. Es ıst freilich auch, namentlich neuestens bei den Universitätsplänen für Dres- 
den, der Gedanke aufgetaucht und ventiliert worden, ob es nicht möglich und rätlich sei, beide hohe 
Schulen, Polytechnikumund Universität, zu einer einzigen Anstalt zu vereinigen, etwa durch Angliede- 
rung einer technischen an die naturwissenschaftliche Fakultät der alten Universitäten. In ganz 
kleinem Massstab ıst das ın Göttingen verwirklicht. Allein nicht nur die Praxis, auch die Theorie 
neigte sich doch dahin, beide wie bisher getrennt weiter marschieren und den gegenseitigen Wett- 
eifer als Sporn zum rastlosen Vorwärtsstreben wirken zu lassen. Wenn sie von uns sich den Weg 
der Freiheit weisen lassen, so lernen unsere Studenten von ihnen vielleicht den geregelten Fleiss. 
Die Frage nach dem Verhältnis der Theorie und der Praxis im Unterrichtsbetrieb unserer 
Universitäten lässt sich jedoch allgemein erst beantworten, wenn man sich über ihren Zweck klar ge- 
worden ıst und verständigt hat, Unsere Universitätsprofessoren sind Forscher und Lehrer zugleich, 
der eine mehr dieses, der andere mehr jenes; wer nur eines von beiden wäre, wäre auf der Hoch- 
schule nıcht an seinem richtigen Platz. Daraus ergibt sich auch eine Zweiheit der Zwecke: einer- 
seits sollen die Universitäten als Forschungsinstitute die Wissenschaft fördern, andererseits die 
Jugend wissenschaftlich unterrichten. Wie sich die modernen Forschungsinstitute in ihrer Sonder- 
stellung zu den Universitäten verhalten und weiter entwickeln, ob sie losgelöst von ihnen verküm- 
mern oder ihnen umgekehrt Abbruch tun und sie auf die zweite Stufe herabdrücken werden, das 
sind Zukunftsfragen, die sich heute noch nicht übersehen und entscheiden lassen. In Leipzig 
  
  
  
  
  
 
	        
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