Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 139 
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Wort der Lösung für diese Streitfrage gefunden sel, vermag ich nicht anzuerkennen; nur das scheint 
mir daraus hervorzugehen, dass die Tage des Kolleggelds gezählt sind und die Einrichtung auch 
bei uns im Absterben begriffen ist, wie sie ja in Österreich wirklich schon beseitigt ist. Womit 
dann freilich der Professor noch mehr als bisher den Beamtencharakter annehmen wird. Und damit 
wird sich noch deutlicher und immer wieder als der eigentliche Kern wie in dem ganzen Problem 
des Verhältnisses von Universität und Staat so auch hier die Frage der Lehrfreiheit und ihrer Er- 
haltung herausstellen, an der schliesslich dem Staat doch ebensoviel gelegen sein sollte, wie der 
Wissenschaft und ıhren Vertretern selbst. Denn wohin eine unfreie Wissenschaft führt und wie 
sie degradiert, korrumpiert und ruiniert, das zeigt ja der Antimodernisteneid schon heute als 
hinlänglich abschreckendes Beispiel. Und er zeigt auch, dass es mit dem einzigen Vorteil der Un- 
freiheit, mit der grösseren Bequemlichkeit für die Regierungen, nichts ist. 
Neben dem Kolleggeld stehen als Klippe auch die Doktor- und Promotionsgebühren ; das Wort 
„Doktorenfabrik“ wirft kein eben erfreuliches Licht auf solche wissenschaftliche Betriebsamkeit. 
Aber problematisch ıst auch schon der Wert der Doktorarbeiten selber, wenn der Professor bei 
Stellung des Themas nicht an den Studenten, sondern an seine eigenen wissenschaftlichen Bedürfnisse 
denkt und ıhm zu deren Befriedigung wıssenschaftliche Kärrnerarbeit zumutet. Und auch an sich 
ist der Wert der meisten Dissertationen nicht allzu gross. Daher hat man neuerdings wieder vor- 
geschlagen, sie ungedruckt zu lassen und sıch mit der Zusammenstellung kurzer Referate daraus 
und darüber zu begnügen. Wer aber die Zeiten erlebt hat, in denen das an vielen Universitäten 
üblich war, wırd dıe Kontrolle durch den Druck und das so allein ermöglichte Urteil der Fach- 
kollegen nicht entbehren wollen, selbst auf die Gefahr hin, dass wır dadurch in gedrucktem 
Papier versinken und ertrinken., 
Der Vertreter des Staats bei den Universitäten ıst der Kurator, während der Kanzler ın 
Tübingen eher als Vertreter der Universität bei der Regierung anzusehen ist. Ob solche besondere 
Vertretung überhaupt notwendig ist, darüber kann man streiten; Baden wırd auch ohne Kuratoren 
fertig, und Heidelberg und Freiburg blühen darum nicht weniger. Die Konferenz von Universitäts- 
lehrern im September 1849 hat die Frage verneint und Böckh zugestimmt, der ausdrücklich erklärte: 
„Die korporative Selbständigkeit der Universität kann mit einem Kurator nie bestehen. Heute 
hat man sıch fast überall in Deutschland so sehr an diese Einrichtung gewöhnt, dass man die Ge- 
fahr kaum mehr achtet, mit der sie jene Selbständigkeit bedroht. Und dankbar hat man sich auch 
gewöhnt, über den ganz wenigen grossen und bedeutenden Kuratoren, deren Meister und Muster 
immer Goethe bleiben wırd, das Gros der einfluss- und verständnislosen und die paar herrschsüchtigen 
und ıntriganten Kuratoren zu vergessen, von denen jene den Universitäten nıchts nützen und diese 
ihnen schweren Schaden zufügen. 
Aber nicht nur die Korporätion und ihre Stellung im Staat, auch die Studentenschaft unserer 
Tage hat ıhre Probleme. Auch ıhre Geschichte; und es wäre nicht uninteressant zu sehen, wie das 
moderne Studententum aus grosser Dumpfheit und Wüstheit und Roheit allmählich herausgewachsen 
und zu dem geworden ist, wie es sich uns In seiner Eigenart heute darstellt. Es hängt mit der Um- 
gestaltung des Charakters unserer Universitäten selbst, aber auch mit äusseren politischen und 
kulturellen Verhältnissen aller Art zusammen: auf den neuen Universitäten leben eben auch neue 
Studenten. Den grossen Umschwung führte aber doch erst die Teilnahme des deutschen Studenten 
an der grossen vaterländischen Tat der Befreiungskriege herbei. Dadurch kam Ernst, wle ın die 
Zeit überhaupt, so auch in die deutsche akademische Jugend; und er blieb auch nach dem Krıeg. 
Die Gründung der deutschen Burschenschaft mit ihrer Tendenz, die Einheit und Freiheit des 
Vaterlands vorzubereiten, ıst dıe grosse Tat des deutschen Studententums und sein berechtigter 
Stolz für alle Zeiten. Dass durch den Übereifer und den Fanatismus einzelner Stürmer und Dränger 
Metternich und der Reaktıon dıe Handhabe gegeben wurde, diese durchaus richtigen und edlen 
Bestrebungen zum Gegenstand heftiger Verfolgungen und niederträchtiger Quälereien zu machen, 
und dass dadurch so bald schon ein Reif auf jene schöne Maienblüte des deutschen Studentenlebens 
gefallen ıst, ist ewig zu bedauern und gehört mit zu den mancherlei Tragödien unserer deutschen 
Geschichte. Der Burschenschaft wäre es aber auch ohne das schwerlich gelungen, die gesamte 
Studentenschaft in sich zu einer grossen Einheit zusammenzufassen; und vielleicht war das sogar 
  
  
  
 
	        
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