Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 141
ER. ne an
Verstummt sind natürlich die Kämpfe der Studentenschaft gegen die besondere aka-
demische Gerichtsbarkeit, da diese als eine privilegierte und exzeptionelle nirgends mehr besteht.
Dagegen wird die Universität als Korporation nicht darauf verzichten können und mögen, un-
würdige Elemente von sich auszuschliessen oder sie vor diesem letzten Schritt und Schnitt durch
Warnung und Rüge auf den rechten Weg zurückzuführen; dass die Karzerstrafe verschwindet —
von Anfang an in Strassburg, jetzt auch ın Bayern, ist nur zu begrüssen. Ob freilich die Zusammen-
setzung unserer Disziplinarämter mit oder ohne Universitätsrichter eine durchaus geeignete ist,
lässt sich fragen. Wenn sie die Form von Standes- und Ehrengerichten annehmen, so stände nichts
im Wege, dass auch Vertreter der Studentenschaft selbst über die Kommilitonen mit zu Gericht
sässen und Fragen wie die, ob einer noch als honoriger Student zu betrachten oder eine Verbindung
nach ihren Grundsätzen und ıhrer Führung mit dem Geist einer deutschen Universität verträglich
sei, mit zu entscheiden hätten. Durch solche Mitbeteiligung würde vollends der Schein der Ge-
hässiekeit von der akademischen Disziplin genommen und diese, wenn auch nicht erleichtert,
so doch sicherlich zum Gewinn für das studentische Leben und insbesondere auch für das
Verhältnis von Studenten und Professoren ausgestaltet werden können.
Dass neben dem Studenten heute auch mit gleichen Rechten die Studentin steht, ist eine
Neuerung, die nur zu begrüssen ıst. Das Frauenstudium hat lange Zeit gerade in Universitäts-
kreisen besonders viele und zähe Gegner gehabt; inzwischen ist der Widerstand verstummt und
die Gründe dagegen sind als zopfig und fadenscheinig erkannt. Dass den Frauen die Pforten
der Universität geöffnet wurden, war eine Forderung der Gerechtigkeit und wirtschaftlich not-
wendig geworden. Nun es geschehen ist, haben sie zu zeigen, was sie neben oder im Unterschied
von den Männern in der Wissenschaft zu leisten vermögen. Der vorläufige Eindruck, dass sie
sich wesentlich rezeptiv dazu verhalten, schmälert ihr gutes Recht auf diese Betätigung in keiner
Weise. Grösser ist die Sorge, dass sich auch manche ungeeigneten Elemente, weil es nun einmal
Mode geworden ist, oder aus Sehnsucht nach der Ungebundenheit des Studentenlebens einzudrängen
suchen. Und wie sich das freie Zusammenleben so vieler jungen Menschen verschiedenen Ge-
schlechts auf die Dauer gestaltet, muss auch erst abgewartet werden. Die freie Studentenschaft
hat dafür kaum schon die richtige Form gefunden.
Ein Haupthindernis des Frauenstudiums und seiner Anerkennung seitens der Universi-
täten lag anfänglich in der mangelhaften und zweifelhaften Art der Vorbildung studierender Frauen.
Durch die Einrichtung besonderer Mädchengymnasien und weiblicher ‚„Studienanstalten“ oder
anderswo durch die Aufnahme von Mädchen in die höheren Knabenschulen (Koedukation) ist diese
Frage im Sinne der Gleichartigkeit oder Gleichwertigkeit mit der Vorbildung ihrer männlichen
Kommilitonen geregelt. Wie für diese so ist auch für sie die einzige enge Pforte, die zur regelrechten
Aufnahme in die Universität, zur Immatrikulation führt, die Bestehung des Abiturientenexamens.
Denn der sogenannte ‚vierte Weg‘ für die Abiturientinnen der Lehrerinnenseminare (Ober-
lyzeen) ist ein auf dıe Dauer nıcht haltbarer Irrweg, vor dem die Frauen selber warnen.
Übrigens ist die Frage der Vorbildung für die Universitäten neuerdings überhaupt zu einem
Problem geworden durch die Gleichstellung der drei neunklassigen Schulanstalten und die Zu-
lassung und den Zudrang der Realschulabiturienten zum Universitätsstudium. Unsere Hochschulen
und ıhr Unterrichtsbetrieb sınd auf humanistischer Grundlage aufgebaut und auf Studierende
mit humanistischer Bildung zugeschnitten. Daher wird es jedenfalls solchen, die kein Latein ver-
stehen, immer schwer fallen, daran teilzunehmen und den vollen Gewinn davon zu haben. Das
hat sich in den kurzen Jahren seit Zulassung der Realschulabiturienten erfahrungsmässig un-
zweifelhaft herausgestellt. Es liegt aber auch in der Natur der Sache selbst. Real- und Oberreal-
schulen sind nicht als Vorbereitungsanstalten für das Universitätsstudium gedacht und eingerichtet,
sie bilden, abgesehen von ıhrem Dienst für praktische Berufe aller Art, die Vorstufe für die
technischen Hochschulen. Deshalb sollten sie auch nicht den Ehrgeiz haben, möglichst viele
Universitätsstudenten zu züchten; das sollte nach wie vor als Ausnahme, als eine Art Berufs-
wechsel angesehen werden, der auf diese Weise nur möglichst erleichtert werden soll. So wie die
Dinge heute liegen, ist diese Ungleichheit der Vorbildung wirklich eine Erschwerung und