142 Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen.
Schädigung des Universitätsunterrichts, der durch den stetig wachsendenZudrang zu den Univer-
sitäten nur immer spürbarer wırd. Dass dıe Qualität der Studenten neuerdings sinkt, ist ohnedies eine
mehrfach laut werdende Klage. Daher können die Universitäten in ihrem eigenen und im
Interesse der Studenten nur wünschen und fordern, dass das Abiturientenexamen nicht immer
leichter gemacht, sondern dass dabei vielmehr nach dem Grundsatz: Landgraf werde hart! ver-
fahren werde. Die grössere Strenge ıst hier dıe grössere Barmherzigkeit, auch für die davon Be-
troffenen. Und das Staatsinteresse fordert sie ohnedies.
Eben deshalb sollten auch nicht alle möglichen Berufe, die ganz wohl ohne Maturitätszeugnis
und akademisches Studium auskommen können — Kaufmann’) nennt Postbeamte, Apotheker,
Zahnärzte, Landwirte und Volksschullehrer — dasselbe aus Standes- und ‚Ressorteitelkeit‘“ für
sıch zur Bedingung macken oder anstreben. Dass darüber vielfach die beste Zeit für die praktische
Vorbereitung und die rechte psychologische Disposition dazu verloren geht und die Universitäten
gezwungen werden, Immer mehr auch ‚Schüler ohne die nötige Vorbildung und ohne wissen-
schaftliche Absicht aufzunehmen”, in dieser Klage kann ich Kaufmann nur beistimmen, wenn
auch unter den von ıhm (Genannten noch einmal zu unterscheiden sein wird. Und jedenfalls
muss dabei aller akademische und lateinische Hochmut ausdrücklich ferngehalten, im Interesse
des allgemeinen Bildungsstrebens müssen die Tore der Universitäten weit aufgemacht werden;
und so ıst es nur zu begrüssen, wenn für manche Vorlesungen der Kreis der Hörer über
die rıte immatrikulierten Studenten hinaus erweitert und es mit dem Recht des Hospi-
tierens nicht allzu ängstlich und eng genommen wird; zu Sport und Modesache darf freilich der
Kollegienbesuch nie werden. Im ganzen sind ja für dieses Universitätsausdehnung
auf weitere Kreise die volkstümlichen Hochschulkurse da, in denen die Professoren ihr Wissen
und die Ergebnisse ihrer Forschung in den Dienst der allgemeinen Volksbildung stellen. Dagegen
hat sich die Hoffnung, dass man hierfür besonders die Arbeiter gewinnen werde, wenigstens bei
uns in Deutschland nicht oder nur an ganz wenigen Orten erfüllt. Hält man aber diese Kurse auf
dem Niveau des bildungseifrigen Volksschullehrers, so wırd durch seine Vermittlung in Schule
und Fortbildungsschule jener Zweck indirekt doch erreicht und die soziale Tendenz solcher Kurse
auch so noch verwirklicht. Besser ıst es den Studenten gelungen, in den elementaren Unterrichts-
kursen für Arbeiter an diese selbst heranzukommen und durch die soziale Arbeit, dıe sie hier tun,
an der Überbrückung der Kluft zwischen Akademikern und Arbeitern in verdienstlicher Weise
mitzuhelfen. Den grössten Gewinn davon haben aber doch die Studenten selber durch das Ein-
tauchen in den sozialen Geist unserer Zeit und das Abtun törıchter Vorurteile, in denen gerade
unsere lateinlernende Jugend vielfach aufwächst.
Neben den alten sind im Augenblick drei neue Universitäten im Werden begriffen (denn
auch in Hamburg und Dresden sind die Pläne schwerlich definitiv aufgegeben und begraben).
In Hamburg soll das vorhandene Kolonialınstitut und das längst schon reich entwickelte Vorlesungs-
wesen der Stadt zu einer Volluniversität ausgebaut werden. Darın liegt der Keım für ein Neues,
wenn in der Hauptstadt unseres deutschen Steverkehrs und Seehandels eine Universität dıe Aus-
bildung für den Dienst in unseren Kolonien in den Mittelpunkt ıhrer Aufgaben stellt und so eine
Bildungsstätte wird, die den Bedürfnissen unserer neudeutschen Machtstellung angepasst ist und
dem genius loci, dem in die Ferne gerichteten Blick seiner grossen Handelsfirmen und dem wage-
mutigen Unternehmungsgeist des Hanseaten entspricht. In Dresden denkt man, wıe schon gesagt,
an eine. Art Personalunion von Universität und technischer Hochschule. Und in Frankfurt a.M.
handelt es sich um eine Stiftungsuniversität, die den Staat nıchtskosten, sondern finanzıellauseigener
Kraft heraus sich erhalten soll. Aber da sıe die staatliche Anerkennung mit allen dazu gehörigen
Berechtigungen einer Staatsuniversität anstrebt und als Universität anstreben muss, so braucht
sie den Staat doch, und so soll es keine Städteuniversität werden, wie einst Bologna eine solche
gewesen ist, ledig aller bureaukratischen Bevormundung und ledig auch der letzten Schranke,
die Kirche oder Staat der akademischen Freiheit ziehen möchten. Völlig belanglos sınd natürlıch
die Bedenken, die gegen dieseNeugründung wegen des grossstädtischen Milieus oder wegen einer
etwaigen Schädigung der Nachbaruniversitäten vorgebracht werden. Bedenklich dagegen ist der
6) Kaufmann a. a OÖ, S. 232 ff.