Wilhelm Wwundt, Die Bedeutung der akademischen Seminarien. 145
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des seminaristischen Unterrichts steht, mehr noch als jenes Bedürfnis anerkannt werden muss.
Es besteht darin, dass eine gründliche Bildung auf irgend einem wissenschaftlichen Gebiet überhaupt
nur durch eigene, soviel als möglich selbständige Arbeit erworben werden kann, dass aber zu dieser
Arbeit zunächst eine Anleitung erforderlich ist, wie sie nur in dem Verkehr zwischen Lehrern und
Schülern, den die akademischen Seminarien gewähren, möglich ist. Dabei handelt-es sich keines-
wegs darum, dass diese wıssenschaftliche Selbsttätigkeit sıch auf alle Gebiete erstrecken müsse,
in denen der Studierende so viel als möglich ein selbständiges Urteil gewinnen soll. Vielmehr wohnt
auch hier der eigenen Arbeit die Kraft inne, dass sie über ıhr engeres (ebiet hinaus ın die Methode
wissenschaftlicher Untersuchung überhaupt einführt und dadurch zur Kritik der Leistungen anderer
befähigt. Gerade dies kann aber durch das bloss rezeptive Studıum niemals erreicht werden. Man
muss eben in der Wissenschaft wie ın der Kunst bis zu einem gewissen (Grade selbst produzieren
können, um die Erzeugnisse fremder Tätigkeit zureichend zu würdigen.
Schliesslich ist noch eine Seite der praktischen Seminararbeit hervorzuheben, die, während
die vorige der Gesamtheit der Heranzubildenden zugute kommt, der Ausrüstung der Hochschule
selbst mit tauglichen Lehrkräften dıent. Je grösser die Zahl der Studierenden wırd, die ın den
Seminarien die Anleitung zu eigener wissenschaftlicher Arbeit suchen, um so mehr bedarf der
Leiter eines solchen Seminars selbstverständlich der Hilfskräfte, der Assıstenten, die ıhn unter-
stützen. Indem die Assistenten ım allgemeinen aus den älteren Studierenden hervorgehen, aus
deren Zahl naturgemäss wieder die am meisten Befähigten zu solchen Stellungen gesucht werden,
bilden die letzteren die einzig richtige Vorschule zu künftiger eigener Dozententätigkeit. Sie bleten
dabei zugleich dem Einzelnen eine Gelegenheit, seine Befähigung zum akademischen Beruf zu er-
proben, wie sie durch kein anderes Mittel ersetzt werden kann, während doch dabeı den Ent-
täuschungen vorgebeugt wird, die nur zu oft gerade in den Geisteswissenschaften Jungen Männern
bevorstehen, die sich, ohne in dieser Weise ihre Kräfte erprobt zu haben, den Wechselfällen der
akademischen Laufbahn anvertrauen.
Handbuch der Politik, II. Auflage. Band III. 10