Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

S1. Abschnitt. 
  
  
Reform des Rechtsunterrichts. 
Juristenstandes. 
Von 
Exzellenz Wirkl. Geh. Rat D. Dr. Adolf Wach, 
Mitglied der Ersten Kammer, o. Professor der Rechte an der Universität Leipzig. 
  
Vorbildung des 
Die Vorbildung des Berufsjuristen — denn nur um diesen handelt es sich — wird 
in der Neuzeit vielseitig erörtert. Der sachkundige Beobachter konnte schon seit langem 
über ihre Unzulänglichkeit nicht im unklaren sein. Heute herrscht darüber nahezu Einig- 
keit. Um so verschiedener sind die Meinungen über die Mängel und die Mittel der Abhilfe. 
Da nun jeder Jurist hier über Erfahrungen verfügt und sich wohl auch Verbesserungs- 
gedanken zutraut, so findet das aktuelle Thema viele willige Federn und Zungen. Theoretiker 
und Praktiker wetteifern in der Tagespresse, in der Broschürenliteratur, in Fachzeitschriften, 
auf Vereinsversammlungen mit Kritik und Vorschlägen. Das Material ist schon jetzt kaum 
übersehbar. Zur Orientierung diene die Zusammenstellung von Gerland in seiner „Reform 
des juristischen Studiums“, Bonn 1911, S. 20£, und in Reidnitz’ Juristenbildung, Mainz 
1911, S. IX—XXX1)) Aber alles Schreiben, Diskutieren und Experimentieren muss er- 
gebnislos bleiben, wenn es nicht gelingt, Klarheit zu gewinnen über unsere Ziele und über 
die wahren Gründe unserer Beschwerden. 
  
  
I. 
Das Ziel. 
Das deutsche Volk nährt sich nicht gern von Phrasen; wohl aber unterliegt es bei 
seinem, Gott sei Dank, noch immer lebendigen idealistischen Zug der Gefahr des Schlag- 
worts, das eine Idee, ein schönes Ziel bezeichnet und mit dem man Panier aufwirft. Und 
heutzutage, in dem grossen Sprechsaal der Öeffentlichkeit, bei dem Wirrsal der Meinungen, 
Interessen und Wünsche ist es schwieriger denn je, sich den Kopf frei zu halten von . 
der Wirkung des laut hinausgerufenen halbwahren Schlagworts. Die Politik ist dafür der 
eigentliche Tummelplatz. Daran hat alles Anteil, was die Organisation der Rechtspflege 
berührt. „Klassenjustiz“, „ Weltfremdheit“ der Juristen, „Wirklichkeitsjuristen“, „Freirecht”: 
ebensoviel Unwahrheiten oder doch Halbwahrheiten, wie Worte, wenn sie Mängel unserer 
Zustände und Reformziele ausdrücken sollen. Der deutsche Juristenstand steht an Geistes. 
bildung, juristischer Schulung, Leistung und Pflichttreue hinter keinem der Welt zurück. 
Das gilt ebensosehr vom Richter- wie vom Anwaltsstande, von den Männern der Verwaltung, 
den T'heoretikern und Praktikern. Vergegenwärtigt man sich den Umschwung der deutschen 
staatlichen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten fünfzi 
Jahren, die umfassende Neubildung unserer Rechtsordnung, die Gesetzesarbeit in Reich un 
Gliedstaaten, die doch zum grossen Teil Juristenarbeit ist, die erstaunliche Schnelligkeit deı 
Bewältigung dieses ungeheuren Materials in Literatur und Praxis, die, bei aller berechtigten 
Bemängelung, unbestreitbare Gesundheit unseres Rechtslebens, so wird man gerechterweise 
dem deutschen Juristenstand rückhaltlose Anerkennung zollen müssen. Und das hat er ge: 
  
  
  
   
  
  
  
  
!) Besondere Beachtung verdient das Gutachten Boyens für den XX. Deutschen Anwaltstag in Jurist 
Wochenschrift Nr. 15, 1911.
	        
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