Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
148 Adolf Wach, Reform des Rechtsunterrichts. Vorbildung des Juristenstandes. 
  
  
  
  
  
  
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Hiernach ist theoretische und praktische Schulung grundsätzlich, zeitlich und organi- 
satorisch unüberbrückbar geschieden. Die sog. praktischen Uebungen auf der Universität 
und etwaige lehrhafte Kurse im Gerichtsdienst bilden bisher die einzigen ausgleichenden 
und annährenden Mittel. 
1. Der Universitätsunterricht leistet, was er nach diesem System mit den 
vorhandenen Personen und Lehrmitteln zu leisten vermag. Er bewegt sich vorwiegend in 
einseitigen Vorträgen, die die Studierenden „hören“; nur in den mit Arbeiten derselben ver- 
bundenen Kollegien exegetischer oder praktischer Natur haben sie Gelegenheit sich zu be- 
tätigen, während ein Gedankenaustausch auch wohl in sog. Konversatorien (Repetitorien) 
stattfindet. Das akademische Lehrziel ist das Erfassen des gesamten Rechtsstoffs in seinen 
Grundgedanken, inneren Zusammenhängen und seinem organischen Ausbau. Das kann nur 
erreicht werden durch systematisch dogmatische Darstellung, die das Einzelne zum Ganzen fügt 
und aus den Grundgedanken entwickelt. Man wird ohne Uebertreibung sagen können, dass 
die Vorträge, wie sie an den deutschen Universitäten gehalten werden, geeignet sind, in die 
Rechtswissenschaft einzuführen und die Kenntnis und Erkenntnis des Stoffs zu vermitteln. 
Wenn aber dieser Erfolg — nach vieler Klage — nicht erreicht wird, so sind die Gründe 
keineswegs nur persönlicher Natur: Ungeschick der Dozenten, Unfähigkeit oder Unfleiss 
der Studenten. Mag sein, dass die jungen Juristen sich vor anderen Kommilitonen durch 
schlechten Kollegienbesuch auf vielen Universitäten auszeichnen. Aber man soll nicht über- 
treiben. Würde man der natürlichen Folge des Unfleisses: der Unwissenheit das gebührende 
Zeugnis im Examen zuteil werden lassen, so würde man über dieses Uebel nicht zu klagen 
haben; denn diejenigen sog. Zuhörer, die sich lediglich als Amateurs auf- der Universität 
aufhalten, scheiden ohnedies aus. Keinesfalls darf man — wie unten noch näher beleuchtet 
wird — das unschätzbare Gut der akademischen Freiheit einem schulmässigen Betrieb um 
des Unfleisses willen opfern. Nein: der Unfleiss, über den man klagt, wurzelt in der Sache 
und hindert daher auch das „Bestanden” nicht, wenn sein Ergebnis: die Unbildung verdeckt 
wird durch eingepauckten Gedächtniskram. Die theoretischen, systematisch-dogmatischen 
Vorträge versagen den gewünschten Erfolg vor allem aus doppeltem Grund: sie halten oft 
die durch den Bildungszweck gebotene Grenze nicht ein, — und sie ermangeln in ihrer 
Einseitigkeit der pädagogischen Kraft. 
  
   
  
  
  
Die Universität ist Forschungs- und Lehranstalt. Dieser Verbindung und Verwendung 
der besten wissenschaftlichen Kräfte für den Rechtsunterricht verdanken wir das hohe, 
geistige Niveau unseres Juristenstandes. Die Resultate der wissenschaftlichen Arbeit kommen 
unmittelbar den Studierenden zugute. Mancher Gelehrte findet in seinen akademischen 
Vorträgen die Hauptform seiner wissenschaftlichen Aeusserung. »So wird, bei aller Beachtung 
des Lehrwecks, die wissenschaftliche Bewältigung des Stoffs die selbständige Aufgabe des 
Dozenten. Hieraus ergibt sich im Zusammenhang mit dem Lehrplan eine Zumutung an 
die Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit des auf sich selbst gestellten Studierenden, der 
der Durchschnitt nicht gewachsen ist. Der Lehrplan umspannt das ganze Rechtsgebiet. 
Wir können völlig davon absehen, ob eine Vorlesung obligatorisch ist oder nicht und wie 
man jenen Plan anlegt, — für den Studierenden ist entscheidend, ob die Disziplin examiniert 
wird. Der Examensgegenstand ist Lerngegenstand, und Examensgegenstand ist und muss 
bleiben — bis auf Nebensächliches — grundsätzlich das ganze Rechtsgebiet. Das bedeutet 
einen unermesslichen Stoff. Allerdings wird man ihn dem Studierenden nur ansinnen, 
soweit er ihm vorgetragen wird. Aber er wird ihm vorgetragen in wissenschaftlicher Kon- 
zentration und Vertiefung — und so will er aufgenommen sein: begrifflich in Wesen und 
Zweck erfasst, verstanden werden. Was will das sagen! Früher, vor der stupenden Gesetzes- 
entwicklung des Reiches und im Reich, sagte man: „bonus institutionista bonus pandektista, 
bonus pandektista bonus jurista". Das gemeine Zivilrecht und zwar das römische Recht, 
das war das A und das O. Darauf kam es an; das wurde geprüft; daneben noch ein 
wenig Handels- und Wechselrecht, Strafrecht, vielleicht Prozess; alles andere gehörte in die 
   
   
  
   
     
  
  
    
  
	        
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