CE EG
EEE
Otto Blum, Die Weiterbildung der Technischen Hochschulen. 155
Es ist durchaus: irrig, dass die Mathematik die Grundlage der Technik ist, sie ist lediglich eines
dervielenHilfsmittel, dessen sich der Ingenieur bedienen muss. Die Stärke des Ingenieurs
kann nie im Rechnen, sondern muss im statischen, dynamischen und wirtschaftlichen Durch-
denken seiner Aufgaben lıiegen.?)
Ist ein Übermass von Mathematik abzulehnen, so muss andrerseits aber auf den Technischen
Hochschulen die Möglichkeit bestehen, dass Studierende, dıe besonders dazu neigen, sich in höheren
Semestern in der Mathematik vertiefen können; auch sollten die künftigen Oberlehrer in grösserem
Umfang als bisher an den Technischen Hochschulen studieren können. Es würde jedenfalls den Hoch-
schulen, den Mittelschulen und den ÖOberlehrern von hohem Nutzen sein, wenn sie auf den
Technischen Hochschulen einen tieferen Einblick in unsere technisch-naturwissenschaftlich und
künstlerisch gerichtete Zeit gewönnen.
II. An zweiter Stelle steht die Vertiefung und Verbesserung des Fachstudiums. Diese besteht
zunächst in der bereits erwähnten Aufnahme der ständig neu auitauchenden Gebiete, sodann in
einer gewissen Spezialisierung. Es müssen nämlich allen Studierenden dergleichen
Abteilung die Grundlagen ihres Fachwissens gleichmässig geboten werden, es sollte
aber den Studierenden freigestellt sein, sich — besonders im vierten Studienjahr — zu spezialisieren,
indem sie ein Sondergebiet stärker betonen und dann auch ım Diplom = Hauptexamen hierin
eingehender geprüft worden.
So gliedert sich z. B. die Bauingenieurwissenschaft (Abteilung II) tatsächlich ın folgende
Gebiete: in die allgemeine Grundlage der Statik, dann ın Brückenbau, Wasserbau und Wasser-
wirtschaft, Eisenbahnwesen, Städtebau. Eine mässige Spezialisierung ist nicht ungesund, sie er-
möglicht vielmehr Vertiefung durch die Bearbeitung grosser Aufgaben, beı denen sıch der Professor
den einzelnen oder kleinen Gruppen besonders eingehend widmen kann. — Grosser Wert muss
sodann darauf gelegt werden, dass die Studierenden ım Laboratorium selbständig arbeiten. Die
Hochschulen müssen zu diesem Zweck mit guten Laboratorien ausgestattet sein; einzelne dieser
Laboratorien geniessen einen Weltruf, so z. B. das Maschinenbaulaboratorıum Stuttgarts; von
grosser Bedeutung sind auch die Versuchsanstalten für Flussbau, Schiffbau, Lokomotivbau u. dgl.,
ferner die technischen Museen (Verkehrsmuseum Berlin, Eisenbahnmuseum Nürnberg, Deutsches
Museum München, Kensington Museum London). Dass diese Anstalten den Technischen Hoch-
schulen nicht unmittelbar angegliedert sind, ıst für dıe Ausbildung der Studierenden kaum von
Nachteil.
III. Unsere Zeit erfordert aber auch noch gebieterisch eine Erweiterung des technischen Stu-
diums nach der wirtschaftlichen und rechtlichen Seite hin, denn der Ingenieur schafft innerhalb
bestimmter rechtlicher Rahmen für die Volkswirtschaft. In beweglichen Worten sind hierfür die
grossen technischen Verbände eingetreten.
„Die technische Leistung vollzieht sich niemals so, dass allein das im engeren Sinn „technisch Mögliche“
in. Frage stünde, sie vollzieht sich vielmehr stets unter Berücksichtigung der gegebenen rechtlichen, sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse. Die technische Leistung ist ein Ausgleich zwischen dem technisch Möglichen einer-
seits und dem rechtlich und ethisch Zulässigen sowie dem wirtschaftlich Erfolgreichen andrerseits..... Grade
in ihrer engeren Berufssphäre sollen die akademischen Techniker die stete Bindung ihres Wirkens an Paragraph
und Preis nicht als einen fremden und lästigen Zwang empfinden, sie sollen vielmehr für diesen bedingenden
Zusammenhang ein wissenschaftliches Verständnis schon auf der Hochschule gewinnen.‘“)
„Der Unterrichtsbetrieb der Technischen Hochschulen ist so einzurichten, dass die Studierenden die Mög-
lichkeit einer harmonischen, weitere Lebensgebiete umfassenden Ausbildung gewinnen, die sie befähigt, über die
Grenzen der eigentlich technischen Tätigkeit hinaus. immer auf deren Grundlage, sich tätig regelnd und leitend an
der Pflege und Hebung unseres nationalen Kulturzustandes zu beteiligen.‘
®) Auch die oft gehörte Annahme, die Fortschritte der Technik bauten sich auf den Fortschritten der
mathematischen Fassung der Erkenntnis auf, ist nur bedingt richtig. Viele Fortschritte sind zunächst vom
Ingenieur auf empirischem Wege gemacht worden, dann erst ist die Wissenschaft grübelnd gefolgt; das zeigt
sich z. B. in der Chemie, im Maschinenbau und in der Elektrotechnik. Die Fortschritte in der. Technik
werden vor allem durch den Wettbewerb, durch den harten Kampf ums Dasein, erstrebt und ausserdem oft
nur durch das Gross-Kapital ermöglicht.
*) Denkschrift des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine.