Peter Jessen, Kunstpflege und Kunsterziehung. 165
mn
ERSRuEEREEE
Aber auch die führenden Mächte, dıe einst den Völkern zum monumentalen Ausdruck Ihres künst-
lerischen Dranges verhalten, die Kirche, die Fürsten, die Stadtgemeinden, bauten Tempel, Schlösser
und Rathäuser nicht, um dıe Kunst Zu fördern, sondern um ihres Glaubens, ihrer Macht, ihres
Ruhmes wegen; die Kunst war die selbstverständliche Beigabe. Zwar hatte Colbert den volks-
wirtschaftlichen Wert des Geschmacks entdeckt und durch planmässige Fürsorge für die Hand-
werkskunst seinem Lande auf Generationen hinaus den Vorrang in Europa gesichert. Aber noch
waren die grossen Besteller, der Hof und der Adel, kunstsicher genug, um aus eigenem Antriebe
die Ideale ihrer Zeit zu gestalten. Der naive, man könnte sagen paradiesische Zustand der Kunst-
pflege hat bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts gewährt.
Die Revolution und ihre Folgen haben dieses glückliche Selbstgenügen gestört. In der
bürgerlichen Gesellschaft, dıe das Erbe der alten arıstokratischen Mächte anzutreten hatte, mochten
Dichtkunst und Musik, die Künste des Einzelnen, gedeihen und auch die Bildermalerei im Hause
einen bescheidenen Platz behaupten. Aber um dem Können und Wollen der neuen Zeit monu-
mentalen Ausdruck zu geben, fehlte es den ärmlichen neuen Schichten nicht nur an Geld, sondern
auch an künstlerischer Gesinnung. Die Kunstgeschichte entstand und liess den ungeheuren Ab-
stand gegen die Vorzeit empfinden. Man ward ırre an sıch selber und sann auf Mittel zur Besserung.
So wurde die bewusste Pflege der bildenden Künste zu einer Forderung der öffentlichen Bildung
und der nationalen Kultur.
Die Kunstpflege richtet sich vornehmlich auf folgende Ziele:
1. die Ausbildung der Künstler;
2. die Kunst an den öffentlichen Bauten und in der monumentalen Bildnerei und Malerei;
3. die Fürsorge für den Kunstbesitz aus älterer Zeit an Baudenkmälern und ın Museen;
4. die künstlerische Bildung des Volkes ın allen seinen Schichten, besonders der Jugend.
1. Die Ausbildung der Künstler ist zur Aufgabe der öffentlichen Mächte ge-
worden, als nach dem Mittelalter die alten handwerklichen Organisationen, die Zünfte und die
St. Lukas-Gilden, den Künstlern zu eng wurden; als einzelne Persönlichkeiten sıch namentlich an
den Fürstenhöfen Geltung und Privilegien zu verschaffen wussten und endlich der ganze Stand
höhere gesellschaftliche Ansprüche erhob und nach Art der Gelehrten und ıhrer Akademien ge-
ordnet und geehrt zu werden verlangte. Damit endete auch die alte Werkstattslehre und die Aus-
bildung ım Atelier des Meisters. Schon im 16. Jahrhundert gab es ın Italien Genossenschaften,
die sich Akademien nannten und für Unterricht sorgten. Als dann Mazarın 1648 die Academie
royale de peinture et de sculpture ins Leben rief, wurden der neuen Körperschaft auch akademische
Mal- und Bildhauerkurse angegliedert. 1666 entstand die französische Kunstschule ın Rom, 1671
die Ecole d’architecture Während der Revolution ward 1793 die Akademie ın ıhrer alten Form
aufgehoben, aber schon 1795 wieder belebt. Napoleon hat sie 1806 dem Institut de France neben
dessen wissenschaftlichen Abteilungen angegliedert. Die Lehranstalt ist seit 1863 als Ecole des
beaux-arts von der Akademie unabhängıg.!)
Dem Beispiele Ludwigs XIV. folgten die übrigen Fürsten. 1692 entstand die Kunstakademie
in Wien, 1696 die Kgl. Akademie der Künste ın Berlin, dıe als Körperschaft bis heute besteht;“) ım
18. Jahrhundert eine ganze Reihe weiterer Akademien an den wichtigsten Kunstzentren Europas,
teils als Körperschaften, teils als Lehranstaiten. Staatliche akademische Lehranstalten bestehen in
Deutschland in Berlin (Hochschule für die bildenden Künste), Düsseldorf, Kassel, Königsberg,
München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Weimar; ausserdem mehrere öffentliche Kunstschulen
mit besonderen Zwecken und eine grosse Zahl privater Schulen für Künstler und Künstlerinnen.)
In den heutigen Kunstakademien pflegen den Unterrichtskursen Meisterateliers für die
reiferen Schüler angegliedert zu'sein. Man wünscht überdies, den Künstlern und ıhrer Kunst
wieder festere handwerkliche Grundlagen zu schaffen und hat hie und da ergänzende Werkstätten
begründet. Um dem verhängnisvollen Künstlerproletariat zu steuern, hat man vorgeschlagen,
1) Dupre et Ollendorf, Traite de ’administration des beaux-arts. Paris 1885. — Larroumet, L’art et l’etat
en France. Paris 1895.
3) Hans Müller, Die Kgl. Akademie der Künste in Berlin 1696—1896. Berlin 1896.
°) W. O. Dressler, Kunstjahrbuch, 7. Jahrgang. Rostock 1913 (wird fortgesetzt).