Peter Jessen, Kunstpflege und Kunsterziehung.
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der öffentlichen Mächte, Parlamente, Rathäuser, Ministerien und zahllose andere Verwaltungs-
gebäude; die Gerichte; die Lehranstalten, von den Universitäten bis zu den Volksschulen; die
Verkehrsbauten, Bahnhöfe und Postgebäude; die Krankenhäuser und die Kasernen; endlich die
Ingenieurbauten, Brücken u. dergl.; sie alle haben zu wetteiiern mit dem hochgespannten Auf-
wand der privaten Bautätigkeit für Geschäfts-, Vergnügungs- und Wohnzwecke. Von dem wech-
selnden Kunstbedürfnis der Generationen hängt es ab, wie weit bei allen diesen Aufgaben die ver-
antwortlichen Behörden und Körperschaften ein Interesse und eine Pflicht darin sehen, ihre Bauten
zum Ausdruck der künstlerischen Tendenzen ıhrer Zeit zu erheben. In Deutschland ist auf die
solide, aber äusserst anspruchslose Bürgerkunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach 1870
eine Lust an lautem, oft übertriebenem Aufwand gefolgt. Die Überschätzung nachgeahmter Stil-
formen ist seit etwa fünfzehn Jahren einer gesunderen Auffassung gewichen, die mehr durch die
künstlerische Anordnung der Massen und Gruppen als durch vielerlei Beiwerk zu wirken sucht.$)
Ein neues, für die Kunst und die Wohlfahrt gleich wichtiges Problem des öffentlichen Bauwesens
sind die Anlage der Strassen und Plätze, die Stadterweiterung und die Planung neuer Siedelungen
geworden; diese „Städtebaukunst“ wird ın England, Deutschland und den Vereinigten Staaten
von Nordamerika mit leidenschaftlicher Hingabe gepflegt.
Das Bauwesen stellt Aufgaben, die notwendig gelöst werden müssen, und sei es auch ohne
künstlerischen Einschlag. Dagegen ist de Förderung der freien Künste, der Plastik
und der Malerei, ganz von dem Willen und der Einsicht der beteiligten Körperschaften abhängig.
Ein Vergleich mit den klassischen Zeitaltern der Kunst fällt nıcht zu unseren Gunsten aus. Die
Bildhauer müssen ohne ınneren Anteil eine Unzahl von Porträt-Denkmälern herstellen, die nur
um des Dargestellten willen bestellt werden; was sie aus freier Seele ihrem Volke gestalten möchten,
geht meist als Skizze zugrunde. Die französısche Republik hält an der Tradition bedeutender
Staatsaufträge für Bildhauer fest; in Deutschland hat die Stadt München rühmliche Beispiele ge-
geben. Noch unzulänglicher wird bei uns die monumentale Malerei bedacht. Die wertvollsten
Aufträge geraten in die Hand der Routiniers; gegen mutige, zeitgemässe Versuche empört sich der
Philistergeist; man lässt dıe Besten nıcht zu Worte kommen und jammert, dass bei diesen Zu-
ständen sich keine Schule der Wandmalerei herausbildet. Die französische Malerei ist noch immer
der unsrigen auch dadurch überlegen, dass die berufenen Instanzen das Werdende erkennen und
zu unterstützen wagen. Wir sollten weniger brave Ölbilder für unsere Museen kaufen und statt
dessen den jüngeren Kräften Platz schaffen, sich im Raume und an der Wand zu erproben.
ö. Das Zeitalter der Romantik hat dıe europäische Welt &elehrt, das Erbe der Vergangenheit
zu schätzen. Neben der lebenden Kunst ist deshalb de Erhaltung des alten Kunst-
besitzes seit langem ein ernstes Ziel der Kunstpflege.”) Um die älteren Baudenkmäler zu
untersuchen und zu erhalten, ıst ın Paris schon 1837 die Commission des monuments historiques
eingesetzt worden, auf Anregung von Viollet-le-Duc, dem tätigsten französischen Architekten
seiner Zeit. In Preussen ıst schon 1844 ein Konservator der Kunstdenkmäler angestellt und seit-
her eine über alle Provinzen ausgebreitete Organısation durchgeführt worden. Fast alle Kultur-
staaten sind damit beschäftigt, ıhren Bestand zu verzeichnen und in meist reich ıllustrierten Werken
zu veröffentlichen, besonders eingehend die verschiedenen Staaten, Provinzen und Städte des
deutschen Reiches. Gesetze regeln die Verpflichtung zur Erhaltung der Bauwerke und suchen die
Verunstaltung der Orte und der Landschaften zu verhindern?)
Seit 1899 erscheint eine Zeitschrift ‚Die Denkmalspflege”; ein „Tag für Denkmalpflege‘
vereinigt alljährlich dıe Freunde der Sache, Architekten und Historiker; die mehr volkstümliche
Arbeit des Bundes ‚Heimatschutz‘ sucht die Liebe zu alter und neuer Kunst ım Sinne des Heimat-
6), Herm. Mutbesius, Stilarchitektur und Baukunst. 2. Aufl. Mühlheim a. Ruhr 19093.
”) A. v. Wussow, Die Erhaltung der Denkmäler in den Kulturstaaten der Gegenwart. Berlin 1885.
°) H. Lezius, Das Recht der Denkmalpflege in Preussen. Berlin 1908. — K. Heyer, Denkmalspflege
und Heimatschutz im deutschen Recht. Berlin 1912. — F. W. Bredt, Die Heimatschutzgesetzgebung der
deutschen Bundesstaaten. Düsseldorf 1912.