Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
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Eugen von Jagemann, Sicherheitspolizei. 
  
bindungen und Anschlägen“ zuvorzukommen, auch Presse und Vereine in dieser Tendenz zu über- 
wachen, so dass in jenem Zeitalter den Fragen der Polizeihoheit als Gegenstand der Regierungs- 
künste wie der oppositionellen Anfechtung, das höchste Interesse galt.!) Der Wandel trat ein mit 
der wirklichen Umbildung zum Rechts-Staat, in welchem alle Rechtssphären eine be- 
stimmte Ordnung empfangen, also einerseits die individuellen Freiheiten ihren sicheren, durch 
Garantien geschützten Bestand, andererseits die staatliche Macht ihre Begrenzung in bezug auf 
Mass, Richtung und Funktionen. 
Dabei ıst es nur eine natürliche Entwicklung, dass die Befugnisse zur Vorkehr (Präven- 
tıon) gegenüber denen der Ahndung (Repression) sich erheblichst mindern, weil die"Gefahr 
der Missentfaltungen gegen das Gemeinwohl geringer geschätzt wırd, an Belang und Häufigkeit, 
als dıe Last vıeler Aufsicht, Bevormundung und Eingriffe. Der Rechtsstaat schloss starke Sicher- 
heitspolizeimittel übrigens an sich nicht aus, nur bedurften sie gesetzlicher Grundlagen. Auch 
konnten sıe, wenn die Wirkung auf grosse Gruppen berechnet war, das öffentliche Hervortreten von 
seitens der Staatsgewalt reprobierten Richtungen keineswegs mehr, wie in der Zeit des Absolutismus, 
hintanhalten; denn der Konstitutionalismus schliesst so viele Betätigungsbefugnisse für jeden 
Staatsbürger, welche ohne Aufgeben des modernen Staatscharakters unentziehbar sind, In sich 
(Wahlrechte, Wahlagitationen, Parlamentsdebatten und -berichte), dass das Entziehbare ın der 
praktischen Bedeutung dagegen zurücksteht. Das beste Beispiel hierfür gibt das 1878—1890 be- 
standene deutsche Sozialistengesetz;?) sozialistischen und kommunistischen Bestrebungen gegen- 
über gab es zwar den Regierungen Verbotsbefugnisse, — namentlich in bezug auf Vereine, Ver- 
sammlungen, Kollekten, Druckschriften, auch Ausweisungsrecht?), aber verhinderte das Anschwellen 
der sozialdemokratischen Partei keineswegs. 
Die geschichtlichen Wendepunkte für Ausbildung, Gestaltung und Zurückdrängung der 
zur Sicherheit des Staatsganzen geübten Polizei hängen ab demnach von der Lagerung der 
Macht- und Rechtsfaktoren. Dagegen ist die Entfaltung der Sicherheitspolizei sonst, sowohl 
für den Schutz des Individuums gegenüber Störungen und Gefahren, wie in bezug auf dıe 
immer mehr sich ausdehnenden und innerlich hebenden einzelnen Staatszweige, einfach 
ein Gegenstand steigender Kultur, indem der zunehmende Umfang und Inhalt des. 
staatlichen Wohlfahrtszwecks ein Gebiet nach dem andern ergreift oder vertieft und damit auch 
immer neue Schutzaufgaben im Interesse der Sicherheit des Ergriffenen oder Geschaffenen er- 
stehen. 
1I. Begriffliches. Schon Klüber?) beklagt — vor einem Jahrhundert — die ‚„logikalische 
Verzweiflung über einen untadelhaften Gattungsbegriff der Polizei“ und heute bekennt Edgar 
Lönıng die Unmöglichkeit einer erschöpfenden Definition für Inhalt und Aufgabe der 
Sıicherheitspolizei insbesondere. 
Die älteren Schriftsteller unterschieden kurzweg zwischen der Sicherheits polizei 
(cura avertendi mala futura), einerlei ob die abzuwehrenden Übel in drohenden Rechtsverletzungen 
oder in Gefahren beständen, und der Wohlfahrtspolizei (jus promovendi salutem publicam)- 
vereinzelt blieb R. v. Mohl, welcher alle Vorbeugung gegen Rechtsläsionen als ‚Präventiv, 
justiz‘ erklärte. Die neuere theoretische Auffassung dehnt den Begriff der „Verwaltung“ aus; 
schränkt jenen der Polizei ein. Bei vielen Wohlfahrtseinrichtungen fliesst tatsächlich das Fördern 
ihrer Zwecke und das Verhüten der korrespondierenden Übel, die positiv und die negativ gerichtete 
Tätigkeit zusammen. Auf das Moment des Schutzes im Gegensatz zur schöpferischen Ent- 
  
  
1) Vgl. in juristischer Hinsicht Zöpfl, Deutsches Staatsrecht $$ 155 und 459 ff. 
2) Vgl. hierüber „Konservatives Handbuch“ (2. Aufl., Berlin 1894 bei Walther) und E. Richters oft auf- 
gelegtes „politisches ABC-Buch“ (Berlin, Verlag ‚‚Fortschritt‘‘) s. v. „‚Sozialistengesetz“. 
3) Der Gedanke Bismarcks, auch deutsche Agitatoren des Reichs verbannen zu können, kam schon in 
den inneren Vorstadien des Entwurfs zur Ausschaltung, also bloss die lokale Ausweisung in das Gesetz, abgesehen 
von Ausländern. Die gleiche Frage spielte in bezug auf die Jesuiten eine Rolle; vgl. dazu auch wegen des 
zeitweise bestandenen Expatriierungsgesetzes (1874—1890) Laband, Staatsrecht I $ 16 Anm. 4. 
‘) Staatsrecht des Rheinbunds (1808 Tübingen bei Cotta) Kap. XI $ 282 ff.
	        
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