180 Karl von Lilienthal, Sittlichkeitspolizei.
Das Abkommen hat natürlich nicht den Zweck, Behörden zu schaffen, die authentisch
feststellen können, welche Erzeugnisse unzüchtig seien. Das könnte nur durch die Gesetzgebung
der einzelnen Länder geschehen. Es ist in der Tat erwägenswert, ob nicht ein richterliches Zentral-
amt für das Deutsche Reich geschaffen werden könnte, dem ın jedem Falle die Entscheidung darüber
vorzubehalten wäre, ob eine Veröffentlichung als unzüchtig anzusehen ist. Die Schwierigkeiten,
die dem entgegenstehen, sınd nicht unerheblich, aber kaum unüberwindlich. Jedenfalls wäre da-
durch eine einheitliche Praxis ermöglicht, deren Fehlen sich heute oft recht unangenehm fühlbar
macht. Das internationale Abkommen aber wird jedenfalls die Tätigkeit der polizeilichen Behörden
sehr wesentlich unterstützen, in dem es sie mit den ın Frage kommenden Erzeugnissen und deren
sewerbsmässigen Herstellern bekannt macht. Es ist zu erwarten, dass dadurch einer grossen An-
zahl von Unternehmern das Handwerk gelegt wırd, die fast ausschliesslich pornographische Erzeug-
nisse auf den Markt bringen und dabei sehr stark auf den Absatz im Auslande rechnen.
Weiter aber wird die Polizei aus ihren allgemeinen Befugnissen auch das Recht ableiten dürfen,
die Entfernung einzelner Erzeugnisse aus den Auslagen der Buchhändler usw. zu verlangen, auch wenn
deren Verbreitung nicht strafbar ıst. Denn auch an sich einwandfreie Veröffentlichungen, die von
geschlechtlichen Dingen handeln, können eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen, wenn
z. B. die in ihnen enthaltenen Abbildungen dem grossen Publikum zur Schau gestellt werden.
Dasselbe gilt natürlich von Werken der bildenden Kunst, z. B. Sammlungen von Radierungen
einzelner Meister. Hier etwa die besonders anstössigen auszulegen, ist eine durchaus verwerfliche
und schädliche Spekulation auf die Lüsternheit des Publikums. Dass bei dem Einschreiten der
Polizei Missgriffe vorkommen können, ist gewiss. aber gerade hıer wırd der dadurch verursachte
Schaden wenig erheblich sein.
Eine weitere wichtige Aufgabe erwächst der Sittlichkeitspolizeı aus dem Vorhandensein
der Prostitution d. h. der gewerbsmässigen Hingabe des Körpers zu geschlechtlichem Genusse.
Die Stellung des Staates zu diesem allgemein als verächtlich geltenden Treiben ıst schwierig.
Zweifellos ist die Prostitution ein grosses Übel. Insbesondere ihr enger Zusammenhang mit dem
Verbrechen ist so oft eingehend geschildert, dass hier ein einfacher Hinweis auf die Tatsache genügen
muss. Aber sie ist ein Übel, das nicht mit den Waffen des Strafrechts und der Polizei überwunden
werden kann. Schon deshalb nicht, weil die erfolgreiche Bekämpfung nicht beı der Dirne beginnen
müsste, sondern bei dem Manne, ohne dessen Verlangen nach käuflichem Liebesgenuss die Dirne
überhaupt nicht vorhanden wäre. Jedenfalls hat sich eine Bestrafung der Prostitution stets als
vollkommen unwirksam erwiesen. Sie ist zudem auch eine innerliche Ungerechtigkeit, da dıe Hın-
gabe gegen Entgelt an sich weder eine Rechtsverletzung noch eine Störung der öffentlichen Ordnung
darstellt. Gefährlich istnicht der Vorgang an sıch, sondern gefährlich sind die ıhn begleitenden Neben-
erscheinungen. Darum wird sich die staatliche Einwirkung besonders gegen diese zu richten haben.
Daraus ergibt sich die auch im deutschen Rechte vertretene Auffassung, dass die Prostitution als
ein nicht strafbares aber der Reglementierung bedürftiges Gewerbe erscheint. Das ist die wirkliche
Bedeutung des oft angefochtenen $ 361 Z. 6 St. G. B. Mit Strafe bedroht wırd der nıcht konzessio-
nierte Betrieb einerseits und die Nichtbefolgung der für den Betrieb erlassenen Polizeivorschriften
andrerseits. Anstoss hat man dabei namentlich an der Konzessionierung genommen, die durch
Eintragung in die Dirnenlisten geschieht. Der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch
hat darauf in $ 305 Z 4 insofern Rücksicht genommen, als er nicht mehr die gewerbsmässige Unzucht
als solche unter Strafe stellt, sondern nur die Übertretung der zur Sicherung der Gesundheit,
der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften bestraft. Die
Grundsätze für diese Vorschriften soll der Bundesrat bestimmen. Denselben Standpunkt nımmt
der „Gegenentwurf‘‘ (Berlin 1911) in $ 246 ein, nur verlangt er Regelung der Grundzüge durch
ein Reichsgesetz. Die von beiden Entwürfen vorgeschlagene Anderung ist nur insofern erheblich,
als sie die Frage der ‚„‚Einschreibung‘‘ den polizeilichen Vorschriften zur Regelung überlässt. Die
auch hier als notwendig anerkannte Reglementierung ist keine Ungerechtigkeit, sondern einfach
eine Massregel der Wohlfahrtspflege. Selbstverständlich ist dabei die Prostituierte nıcht rechtlos,
sondern nur strafbar, soforn sie sich den bestehenden Anordnungen nicht fügt. Die wichtigste
dieser Anordnungen ist bisher die Notwendigkeit der Anmeldung bei der Polizei. Sie hat den Zweck,
der Polizei die Kontrolle darüber zu erleichtern, dass nicht ordnungswidrige Handlungen begangen