Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
Karl von Lilienthal, Sittlichkeitspolizei. 181 
  
  
werden. Ordnungswidrig aber sind die Handlungen, durch die entweder der geschlechtliche Anstand 
verletzt oder das öffentliche Wohl gefährdet wird. Die weitaus wichtigste Gefährdung des öffent- 
lichen Wohles ist die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die durch regelmässige ärztliche 
Untersuchungen, wenn nicht verhindert, so doch wesentlich eingeschränkt werden soll. Dieser 
Schutz der Volksgesundheit ist eben der eigentlich springende Punkt in der Behandlung der Pro- 
stitutionsfrage durch die Polizei. Jedenfalls könnten alle anderen Vorschriften für den Betrieb 
des Prostitutionsgewerbes auch ohne Inskription durchgeführt werden. Sie stellen sich im wesent- 
lichen dar als Massnahmen zur Bewahrung des geschlechtlichen Anstandes und zum Schutze des 
Publikums gegen Belästigung und Gefährdung durch den Gewerbebetrieb selbst. Es kommen 
dabei etwa ın Betracht die Verbote für Prostituierte ın bestimmten Strassen oder Häusern, oder 
in Familien mit schulpflichtigen Kindern zu wohnen, ferner bestimmte Strassen und Plätze ent- 
weder überhaupt oder wenigstens zu bestimmten Tages- oder Nachtstunden aufzusuchen, sich 
überhaupt auffallend, Anstoss erregend zu benehmen oder zur Unzucht anzureizen, mit Minder- 
jährigen Verbindungen anzuknüpfen, Zuhälter bei sich zu beherbergen. Unter diese Gesichtspunkte 
fasst z. B. eine preussische Ministerialverfügung vom 11. Dezember 1907 (M. Bl.£.d.i. V. 1908 S. 14) 
die erforderlichen Vorschriften zusammen, indem sie im übrigen mit Recht vor kleinlichen und zu 
sehr ıns einzelne gehenden Bestimmungen warnt. 
Was nun den Gesundheitsschutz anlangt, so ist die Tätigkeit der Polizei weit davon entfernt. 
mit den üblichen Mitteln der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wirksam begegnen zu können, 
Denn die amtlich bekannte Prostitution ist nur ein sehr kleiner Teil der wirklich vorhandenen. 
Darum erklärt sich auch das Bestreben, eine einmal der Gewerbsunzucht überführte Person nicht 
mehr aus den Augen zu lassen und deshalb die zwangsweise Eintragung in die Listen vorzunehmen. 
Man kann wohl daran zweifeln, ob diese weit verbreitete Praxis die Befugnisse der Polizei nicht 
überschreitet. Die erwähnte preussische Ministerialverfügung steht nıcht auf diesem Standpunkt, 
weist aber die Behörden an, eine Zwangseinschreibung jedenfalls nicht vorzunehmen, ehe nicht 
eine gerichtliche Verurteilung wegen Gewerbsunzucht erfolgt ist. Der herrschenden Übung gegen- 
über ıst das als ein wesentlicher Fortschritt in dem Schutze gegen polizeiliche Willkür zu bezeichnen. 
Ebenso ist es sehr anerkennenswert, dass in dieser Verfügung mit dem System der ausschliesslichen 
polizelärztlichen Untersuchung gebrochen wırd. Sie knüpft an $9 Abs. 2 des preussischen Gesetzes 
betr. dıe Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 an, der eine Zwangsbehand- 
lung geschlechtskranker Prostitulerter erforderlichenfalls zulässt. Die dazu erlassenen Ausführungs- 
bestimmungen vom 7. Oktober 1905 (M. Bl. f. Mediz. Angelegenheiten S. 389) empfehlen es, die 
Behandlung der Geschlechtskrankheiten Prostituierter durch Einrichtung öffentlicher ärztlicher 
Sprechstunden zu erleichtern, die erwähnte Ministerialyerfügung weist die Polizeibehörden an, 
dafür Sorge zu tragen, dass diese Einrichtungen vorhanden sind und von den Prostituierten auch 
wirklich benutzt werden. Die polizeiärztliche Untersuchung soll demgegenüber nur die Ausnahme 
bilden. Eine zwangsweise Behandlung in einem Krankenhause soll nur angeordnet werden, wenn 
die freie ärtzliche Behandlung nicht regelmässig aufgesucht wird oder der Verdacht besteht, dass 
der Unzuchtbetrieb trotz der bestehenden Krankheit fortgesetzt wird. 
Dies zum allgemeinen Vorbilde wohl geeignete System bedarf freilich der wesentlichen 
Ergänzung. Eine Bekämpfungder Geschlechtskrankheiten ist ohne Massregeln auch gegen geschlechts- 
kranke Männer ziemlich wirkungslos. Allerdings wird es sich dabei um Aufgaben der Gesundheits- 
und nicht der Sittlichkeitspolizei handeln, die durch entsprechende strafrechtliche Vorschriften 
zu unterstützen wären. Hier muss genügen, darauf hinzuweisen, dass dazu erforderlich erscheint 
Bestrafung der wissentlich en Übertragung von Geschlechtskrankheiten, Einreihung der Geschlechts- 
krankheiten unter die für den Arzt anzeigepflichtigen, möglichst weitgehende kostenlose, darum 
aber auch nötigenfalls zwangsweise, Heilbehandlung der Erkrankten. 
Eın besonders wunder Punkt der Prostitutionspolizei ist die Behandlung der Kuppelei. Dass 
nach dem deutschen St. @. B. das Halten eines Bordells als Kuppelei strafbar ist, wird nur ganz 
ausnahmsweise bezweifelt. Trotzdem halten sehr vıele Polizeibehörden die Existenz von Bordellen 
für eine Notwendigkeit. Tatsächlich wohl mit Unrecht. Zwar ist es nicht zu bestreiten, dass die 
Kasernierung in Bordellen die Überwachung der Bordelldirnen auch in gesundheitlicher Beziehung 
erleichtert. Aberdasfällt praktisch nichtsehrins Gewicht, dasich tatsächlich doch nur der allerkleinste 
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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