182 Karl von Lilienthal, Sittlichkeitspolizei.
Teil der Prostituierten in Bordellen unterbringen liesse. Aus demselben Grunde ist auch die oft
angeführte ‚„‚Reinhaltung der Strassen‘ kein Grund für Zulassung der Bordelle. Beide Erwägungen
haben nur für kleine Verhältnisse einige Berechtigung und ın diesen lässt sich bei einiger Aufmerk-
samkeit der Polizei auch die freie Prostitution in jeder Beziehung leicht überwachen. Diesen geringen
Vorzügen stehen aber sehr erhebliche Übelstände gegenüber. Die Bordelle bieten eine stets bereite
Gelegenheit für Ausschweifungen aller Art. Das Verbot, geistige Getränke auszuschänken, ändert
daran gar nichts, denn es wird umgangen werden müssen, wenn die Bordelle überhaupt wirtschaft-
lich existenzfähig sein sollen. Jedenfalls aber ıst ıhr Vorhandensein für eine erhebliche Anzahl von
Personen eine starke Versuchung, der besonders Angetrunkene leicht unterliegen. Weiter aber
bedeutet der Bordellbetrieb eine Versklavung der Dirnen, dıe schon aus allgemein menschlichen
Gründen nicht geduldet werden darf. Es ıst zudem ım Grunde ein Widersinn, den Mädchenhandel
zu bekämpfen und die Bordelle, den eigentlichen Nährboden dieses Verbrechens, bestehen lassen zu
wollen. Dass schliesslich der dienstliche Verkehr der Polizeibeamten mit den Bordellinhabern zu
Bestechungen aller Art führt, ıst auch ein gewichtiger Grund gegen die Duldung solcher Betriebe.
Es muss deshalb geradezu als eine der wichtigsten Aufgaben der Sıttlichkeitspolizei angesehen werden,
die Bordelle in allen Erscheinungsformen nachsıchtslos zu bekämpfen.
Der ‚„Mädchenhandel‘“ d. h. die Verschleppung von Frauenspersonen unter Anwendung
von hinterlistigen Kunstgriffen, um sie der Unzucht zuzuführen, ist nach dem geltenden Strafrechte
als Entführung strafbar und ausserdem ın $ 48 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897 als
besonderes Delikt behandelt, wenn die Verschleppung ins Ausland geschieht. Dass die Verhinde-
rung eines solchen gemeingefährlichen Treibens ebenfalls zu den Aufgaben der Sittlichkeitspolizei
gehört, versteht sich von selbst. Erleichtert wırd sie durch das Internationale Akbommen über
Verwaltungsmassregeln zur Gewährung wırksamen Schutzes gegen den Mädchenhandel vom 18. Mai
1904 zwischen dem Deutschen Reiche, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Grossbritannien,
Italien, den Niederlanden, Portugal, Russland, Schweden, Norwegen, und der Schweiz, zu dem aber
der Beitritt aller übrigen Staaten offen gehalten ıst. Die vertragschliessenden Staaten haben sıch
darin verpflichtet, je eine Behörde zu bestellen (für Deutschland das Berliner Polizeipräsidium.
Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 15. Juli 1905 R. Z. Bl. S. 185), der es obliegt, alle Nach-
richten über Anwerbung von Frauen im Auslande zu sammeln. Ausserdem soll ein Überwachungs-
dienst eingerichtet werden, um die Mädchenhändler ausfindig zu machen. Die Ankunft verdächtiger
Personen soll den beteiligten diplomatischen und polizeilichen Behörden gemeldet werden. Auch
sollen Opfer des Mädchenhandels und ihre Verschlepper ermittelt, die Opfer befreit und nach dem
Heimatlande zurückbefördert werden. Ergänzt werden diese Abmachungen durch ein neues
Übereinkommen vom 4. Mai 1910, zu dem jetzt ein deutsches Ausführungsgesetz ergangen ist,
das die Auslieferung wegen der dort bezeichneten strafbaren Handlungen vorsieht. Die
wichtigsten Bestimmungen dieses Abkommens sind folgende:
Art. 1. Wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine minderjährige Frau oder ein
minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder ent-
führt, soll bestraft werden, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung
bilden, auf verschiedene Länder entfallen.
Art. 2. Ferner soll bestraft werden, wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine voll-
jährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt, Drohung, Missbrauch des An-
sehens oder auch irgend ein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt,
auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren H andlung bilden, auf verschiedene Länder
entfallen.
Art. 3. Die vertragschliessenden Teile, deren Gesetzgebung nicht bereits ausreichen sollte, um die ın den
beiden vorhergehenden Artikeln vorgesehenen strafbaren Handlungen zu bekämpfen, verpflichten sich, diejenigen
Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen. die erforderlich sind, damit diese
strafbaren Handlungen ihrer Schwere entsprechend bestraft werden.
Art. 5. Die in den Artikeln 1, 2 vorgesehenen strafbaren Handlungen sollen vom Tage des Inkrafttretens
dieses Übereinkommens an ohne weiteres als in die Aufzählung derjenigen strafbaren Handlungen aufgenommen
gelten, deretwegen die Auslieferung nach den unter den vertragschliessenden Teilen bereits bestehenden Ver-
einbarungen stattfindet. \
Soweit die vorstehende Abrede nicht ohne Anderung der bestehenden Gesetzgebung wirksam werden kann,
verpflichten sich die vertragschliessenden Teile, die erforderlichen Massnabmen zu treffen oder ıhren gesetz-
gebenden Körperschaften vorzuschlagen.