192 Chr. J. Klumker, Armenpolitik.
wurden, doch nicht imstande sıch genügend im freien Verkehre zurecht zu finden, um diese Fähig-
keiten zur Grundlage eines ausreichenden Erwerbs zu machen. Sie gehen daher notwendig in die
3. Gruppe über; sie müssen dauernd bei der Verwertung ıhrer Kräfte geleitet und beschützt werden.
Die Erziehung kann an ihnen ihr Werk nicht bis zum Abschluss bringen; es bleıbt der Fürsorge die
Verwertung dieser wirtschaftlichen Kräfte als dauernde Aufgabe, die sıch z. B. bei vielen Blinden-
anstalten in der Errichtung von Heimen für erwachsene Blinde, von Werkstätten für sie und der-
gleichen äussert, die zum Teil grosse wirtschaftliche Leistungen solcher Personen aufzuweisen haben,
die ohne diese Hülfe verarmen und zum Gegenstand der unentgeltlichen Versorgung herabsinken
müssten. Das wesentlichste Kennzeichen derälteren Richtung dürfte darin liegen, dass sie mehr oder
weniger an den Glauben festhält, dass eine Unterstützung durch Arbeit nıcht möglich sei, dass jeden-
falls die Arbeit nur als Erziehungs-, richtiger als Zwangsmittel zu benutzen sel, um die Unterstützten
zu veranlassen, wiederum sıch auf eigene Füsse zu stellen und selbständig ihren Unterhalt zu ver-
dienen. Eigentümlich ıst ıhr daneben die etwas anders gerichtete bald so bald so geformte Meinung,
dass arbeitsfähige Personen auch bei jedem wirtschaftlichen System Ihren Unterhalt selbst erwerben
könnten, dass es da, wo sie dies nicht tun, nur gelte, die vorübergehenden Hindernisse, besonders
Krankheiten und Böswilligkeit zu überwinden, um dem Zustand der Armut ein Ende zu bereiten.
Am stärksten ist diese Richtung erschüttert worden,‘ durch/die nähere Untersuchung der
Landstreicher und Vagabunden, wie sie neuerdings besonders von ärztlicher Seite erfolgt ıst. Wenn
dort eine Fülle geistiger Gebrechen, vor allem verschiedene Grade schwerer und leichter Verblödung
als Ursache der Verarmung bei oft gut erhaltener Arbeitsfähigkeit aufgedeckt wurden, so war. dies
nur eine bestimmte Gruppe minder erwerbsfähiger, verarmender Persönlichkeiten, zu denen bei
wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Begriffsbestimmung weitere Kreise hinzukommen. Sowird man
als Hauptkennzeichen neuerer Anschauung alle jene Versuche hinstellen dürfen, dıese Persönlich-
keiten nicht nur zu versorgen, oder mit erfolglosem Zwang zur Rückkehr ıns freie Wirtschaftsleben
zu zwingen, sondern ihre Arbeitskräfte zu verwerten, sie unter ırgend eine Art von Bevormundung
zu stellen, die wenn auch freiwillig von den betreffenden ertragen, doch sıe tatsächlich aus dem
freien Wettbewerb unseres Wirtschaftssystems herausnımmt. Die Erfolglosiıgkeit der deutschen
Korrektionsanstalten und Arbeiterkolonien nach jener Richtung, ıhr bedeutender Erfolg ın dieser
Richtung sind vorzügliche Beispiele dieser Entwicklung. Die 3. Aufgabe der Fürsorge wäre danach zu
bezeichnen, ‚Unterbringung und Verwertung der Persönlichkeiten, dıe ım herrschenden Wirtschafts-
system nicht allein sich durchbringen können". Die enge Beziehung dieser Versuche zum Wiırt-
schaftsleben der Zeit, und die Wandelung des Kreises ıhrer Schützlinge wıe ıhrer ganzen Einrich-
tungen mit dem Wirtschaftsleben dürften dıe wesentlichsten Stücke sein, die für ıhre Beurteilung
festzuhalten sind.
Die Versorgungunwirtschaftlicher Elemente, denen völlıg dıe Fähıg-
keit abgeht, sich selbständig zu erhalten, ist das am meisten ın sıch geschlossene Gebiet der Fürsorge,
das rein nach eigenen Grundsätzen verwaltet werden kann. Eine humane Versorgung, dıe mit dem
geringsten Aufwande ihren Zweck erreicht, wird hier, wo die Fürsorge sich ganz ım Gebiete der
Einkommensverteilung hält, fast alle Massnahmen beherrschen. Einzig dıe Möglichkeit, dıe Not-
wendigkeit dieser Versorgung durch Ausdehnung der Selbstversicherung, stärkere Ausbildung des
Beamtencharakters bei höheren Arbeitern einzuschränken, wırd darüber hinaus ın Betracht kommen.
Die Erscheinung, dass die Rechtsform dieser Versorgung sich z. B. bei Zwangsversicherung ändern
kann und so z. B. die Form des staatlichen Zuschusses bei der deutschen Alters- und Invalıdenver-
sicherung annimmt, ändert nichts an dem fürsorglichenCharakter diesesTeils der rechtlich geänderten
Versorgung. Nicht die Art der Mittelbeschaffung, sondern die öffentliche Sicherung der Ver-
sorgung ist entscheidend für diesen Charakter.
Die Erziehung vorübergehend unwirtschaftlicher Elemente be-
rührt sich fortwährend mit den verschiedenen politischen Gebieten. Sie kann nur In einer engen
Fühlung mit der ganzen wirtschaftlichen Entwicklung fortschreiten, sie wird am meisten von gesell-
schaftlichen Änderungen aller Art mitbetroffen. Eine Fülle sogenannter sozialpolitischer Ein-
richtungen, die die Lebensbedingungen der Volksmasse heben wollen, tragen fürsorglichen Charakter
an sich, indem sie einzelnen die fehlenden Stücke der Wirtschaftlichkeit ersetzen oder sie zu selbst-