Franz von Liszt, Strafrechtsreform.
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die Gesellschaft verlangen, dass die Öffentlichkeit über diese für die Gesamtheit so wichtige Arbeit
der Vereine ausreichend unterrichtet wird. In einigem Masse wırd die öffentliche Aufsicht heute
ersetzt durch jenen Zwang der Vereine, ihre Mittel durch freie Gaben zu gewinnen und dazu über ihre
Arbeit Rechenschaft abzulegen. Diese Rechenschaft sollte ın viel umfassenderem Masse erfolgen wie
bisher, weil für viele Vereine und Anstalten diese Öffentlichkeit die einzige Kontrolle ihrer Arbeit
bildet. Im besonderen sollten alle Einrichtungen der Fürsorge vıel mehr als bisher über ıhre Schütz-
linge und ihre Behandlung öffentliche Rechenschaft ablegen und Vorkehrungen treffen, damit
gründliche wissenschaftliche Forschungen darüber möglich seien, was gar oft aus Mangel an den ein-
fachsten schriftlichen Aufzeichnungen unmöglich wırd. Nur ganz vereinzelte Darstellungen geben
uns wenigstens einigen tieferen Einblick in die Volkskreise, dıe von der Vereinstätigkeit ergriffen,
versorgt oder erzogen werden, während eine weitere Kenntnis dieser Volksteile für den Ausbau
einer Armentheorie wie einer Armenpolitik unentbehrlich ist.
90. Abschnitt.
Strafrechtsreform.
Von
Geh. Justizrat Dr. Franz von Liszt,
M.d.R.
0. Professor der Rechte an der Universität Berlin.
Eine Übersicht über die allmählige Entwicklung der Reformideen geben die fast dreissig Jahre umfassenden
Abhandlungen in v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Reden, zwei Bände, 1905. Vergleiche dazu die Mit-
teilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung seit 1889; ferner Goldschmidt, Abschnitt
„Strafen“ in der Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Allgemeiner Teil Band
IV S. 81-470 (mit reichhaltigen Angaben über Gesetzgebung und Literatur des Auslands für die meisten ein-
schlagenden Fragen). v. Liszt, Lehrbuch des Strafrechts 20. Auflage 1913 $$ 13, 15, 16, 17 (mit Literatur).
Lenz, Die anglo-amerikanische Reformbewegung im Strafrecht 1908. — Für die Vorgeschichte der Bewegung:
Wahlberg, Das Prinzip der Individualisierung in der Strafrechtspflege 1869 (dazu Tschubinsky in der Zeit-
schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft XXIII, S. 64). Mittelstädt, Gegen die Freiheitsstrafen 1879.
Kräpelin, Die Abschaffung des Strafmasses 1880. — Im Einzelnen: v. Liszt, ‚„Bedingte Verurteilung und
bedingte Begnadigung“ in der Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Allgemeiner
Teil III S. 1 bis 91. — v. Lilienthal ,Jugendliches Alter‘‘ ebenda V S. 103 bis 161. Kahl, „Geminderte
Zurechnungsfähigkeit“ ebenda (I) S.1b1s78.—Aschaffenburg ,„Geisteskranke und Gewohnheitsverbrecher“
ebenda IS. 79 bis 133. — Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch mit Begründung 1909 Dazu: Aschrott
und v. Liszt, Die Reform des Strafgesetzbuchs 2 Bände 1910. Regierungsentwurf zu einem österreichischen
Strafgesetzbuch mit erläuternden Bemerkungen 1912. Vorentwurf zu einem schweizerischen Straf-
gesetzbuch (April 1908). Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuches aufgestellt von Kahl,
v. Lilienthal, v. Liszt, Goldschmidt mit Begründung 1911. — Für die (freilich voneinander weitabweichenden)
Ansichten der Gegner vgl. die von v. Birkmeyer und Nagler herausgegebenen „Kritischen Beiträge zur
Strafrechtsreform‘‘ 1908f£.
I. Rechtsstaat und Verwaltungsstaat.
Die Strafgesetzgebung des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts weist zwei grosse
Schöpfungen auf, die den folgenden Jahrzehnten die Bahn gewiesen haben: Den aus dem Ringen der
iranzösıschen Revolution hervorgegangenen Napoleon’schen code penal von 1810 und das bayerische
Strafgesetzbuch von 1813, das weit über die Grenzen der deutschen Staaten hinaus Feuerbach’s
legislatorischer Meisterschaft vorbildliche Bedeutung sicherte. Was weiter kam, war die Arbeit
mehr oder weniger glücklicher Epigonen, die bald dort bald da den Anschluss suchten. In Preussen
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