Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
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Franz von Liszt, Strafrechtsreform. 
zeitliche Beschränkung der Zweck der Massnahme vereitelt wird. So ist die Strafrechtskommission 
des Reichsjustizamtes dazu gekommen, eine auf unbestimmte Zeit angeordnete Sicherungs n a c h- 
haftnach verbüsster Strafe an die Stelle jener Verwahrungsstrafe zu setzen. 
Aber auch einer anderen Gruppe von verbrecherisch gewordenen und gemeingefährlichen 
Personen gegenüber versagt das geltende Recht vollständig: Dassind die Geisteskranken, 
die nach $ 51 Strafgesetzbuch wegen mangelnder Zurechnungsfähiskeit freigesprochen werden 
müssen, ohne dass irgend welche Massregeln zum Schutze der Gesellschaft getroffen werden 
können. Hier hat bereits das italienische Strafgesetzbuch von 1889 die Verwahrung in einem der 
manicomi criminali vorgesehen. Wie die Entwürfe Österreichs und der Schweiz, hat auch der deutsche 
Vorentwurf $ 65 diese Bahn betreten. Das Gericht, das den Geisteskranken freispricht oder ausser 
Verfolgung setzt, hat, wenn es dıe Öffentliche Sicherheit erfordert, seine Verwarung in einer 
öffentlichen Heil- oder Pfilegeanstalt anzuordnen. In dieser verbleibt der Geisteskranke, so lange 
seine Gemeingefährlichkeit die Verwahrung notwendig macht. 
Dieselbe Massregel ıst endlich auch gegenüber den gemeingefährlichen vermindert 
zurechnungsfähigen Personen ım deutschen Vorentwurf vorgesehen. (Gerade hier weist 
das geltende Recht im Gegensatz zu der Mehrzahl der deutschen Partikularstrafgesetzbücher eine 
empfindliche Lücke auf. Es kennt den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit nicht. Die 
Folge davon Ist, dass alle Minderwertigen, die in steigender Anzahl vor den Strafrichter kommen, 
nach Verbüssung der gegen sie erkannten, meist gemilderten Freiheitsstrafe, trotz Ihrer fortdauernden 
Gemeingefährlichkeit, auf die menschliche Gesellschaft losgelassen werden müssen. Der deutsche 
Vorentwurf sieht in diesem Fall zwar Strafmilderung vor, weist aber den Richter an, wenn es die 
öffentliche Sicherheit erfordert, anzuordnen, dass der Verurteilte nach verbüsster Freiheitsstrafe 
in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt verwahrt wird. 
4. Eine Sonderstellung nehmen die verbrecherisch gewordenen Alkoholiker eın. Soweit 
diese nicht als zurechnungsunfähig oder als gemindert zurechnungsfähig anzusehen und daher, 
wenn gemeingefährlich, in dauernde Verwahrung zu nehmen sınd, kann nur ıhre Heilung ın 
Frage kommen. Die deutsche Gesetzgebung hat sich wiederholt mit der Frage beschäftigt, ohne zum 
Ziel zu gelangen; die Regierungsentwürfe von 1881 und 1892 sind nicht Gesetz geworden. Nach 
$ 43 des deutschen Vorentwurfs kann das Gericht, wenn Trunksucht des Täters festgestellt ist, 
anordnen, dass der Verurteilte bis zu seiner Heilung, jedoch höchstens auf die Dauer von zwei 
Jahren, in einer Trinkerheilanstalt untergebracht wird ; vorausgesetzt, dass diese Massregel erforder- 
lich erscheint, um den Verurteilten wieder an ein gesetzmässiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. 
5. Am wenigsten geklärt ist die Frage nach der Behandlung der sogenannten kleinen Krımı- 
nalität, also des grossen Heeres der Bettler, derLandstreicher und der Arbeıts- 
scheuen. In der Gesetzgebung fast sämtlicher Kulturstaaten fehlt es nıcht an teilweise weit 
zurückreichenden Versuchen, dieser Landplage Herr zu werden; es ıst aber bisher nicht gelungen, 
eine befriedigende Lösung des Problems zu finden. Das Arbeitshaus, das diesen Personen gegenüber, 
und zwar meist nach verbüsster kurzer Freiheitsstrafe zur Anwendung gebracht wird, ıst seiner 
geschichtlichen EntwicklungnachalsBesserungsanstaltgedacht. So lässt auch der deutsche 
Vorentwurf bei gewissen strafbaren Handlungen die Einweisung in das Arbeitshaus auf die Dauer 
von sechs Monaten bis zu drei Jahren unter der Voraussetzung zu, dass ‚‚diese Massregel erforderlich 
erscheint, um den Verurteilten wieder an ein gesetzmässiges und arbeitsames Leben zu gewöhnen.‘ 
Es ist aber zum mindesten zweifelhaft, ob die Arbeitshäuser bei ihrer heutigen Einrichtung überhaupt 
geeignet sind, die ihnen gestellte Aufgabe der bürgerlichen Besserung zu erfüllen. Dazu tritt die 
weitere Erwägung, dass auch dieser Gruppe gegenüber, soweit Unverbesserlichkeit angenommen 
werden muss, nicht Besserungsmassregeln, sondern dauernde Sicherungsverwahrung erforderlich 
erscheint. Anhaltung i ım Arbeitshaus bis zur Höchstdauer von drei Jahren ist aber zweifellos ausser- 
stande, dieser Forderung zu genügen. Es wird also auch hier an die Stelle der einheitlichen Scha- 
blone eine differenzierende Behandlung treten müssen. 
  
  
  
IV. Die legislative Durchführung der Reformgedanken. 
In den meisten Ländern hat man sich, sei es schon in den letzten beiden Jahrzehnten des 
neunzehnten, sei es seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, damit begnügt, durch einzelne 
   
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