Paul Laband, Die Reform der Verfassung Elsass-Lothringens. 907
zu überweisen ($ 21). Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz vom 23. Mai 1881 dahin er-
gänzt, dass die Verhandlungen des Landesausschusses Öffentlich sınd und dıe Geschäftssprache
desselben dıe deutsche ıst.
Nachdem acht Jahre seit der Vereinigung der von Frankreich abgetretenen (xebiete mit dem
deutschen Reich vergangen waren, hatte Elsass-Lothringen bereits eine Verfassung, welche tat-
sächlich der eines Bundesstaates ähnlich war. Das Reichsland hatte von Anfang an seine eigene,
selbständige, von der Finanzwirtschaft des Reichs getrennte Finanzwirtschaft. Es hatte seine eigene
Verwaltungsorganisation unter Ausschluss der Reichsorgane, seinen Statthalter, sein Ministerium,
seine Landesbehörden und Landesbeamten. Es hatte eine Volksvertretung, welche mit allen
Rechten ausgestattet war, welche die Landtage der Bundesstaaten haben. Es hatte seine besondere
Landesgesetzgebung, für welche ein eigenes Gesetzblatt bestand. Es gab sogar eine Landesange-
hörigkeit, welche der Staatsangehörigkeit in den Bundesstaaten entsprach. Seine besonderen
Interessen konnten im Bundesrat durch Kommissare des Statthalters zur Geltung gebracht werden.
Elsass-Lothringen blieb Reichsland; die Souveränität über dasselbe stand dem Reiche zu;
es gab keine von der Reichsgewalt verschiedene Staatsgewalt; Elsass-Lothringen war eın Teil des
Reichsgebiets, aber kein Mitglied des Bundes und hatte daher keine Mitgliedschaftsrechte; aber die
Konsequenzen des Reichslandsbegriffs waren ın allen Richtungen abgeschwächt und umgebogen und
die tatsächlich bestehende Einrichtung des Reichslandes war der eines Bundesstaates völlig gleich-
artıg. Die Eigenschaft als Reichsland trat nur noch in folgenden Rechtssätzen ın dıe Erscheinung:
1. Da es keine von der Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt ım Reichsland gıbt, so
gıbt es auch keinen Landesherrn im staatsrechtlichen Sinne. „Der Kaiser übt die Staatsgewalt
aus als Organ des Reichs und im Namen des Reichs. Obgleich ıhm tatsächlich ım Reichsland die-
selben Rechte zustehen wie den Landesherren der Bundesstaaten, so 1st seine staatsrechtliche
Stellung doch eine andere. Er übt nicht wie ein Monarch sein Recht aus, sondern das Recht der
Gresamtheit der deutschen Bundesstaaten. Er ist bei der Gesetzgebung nicht nur an Zustimmung
der elsass-lothringischen Volksvertretung, sondern auch an die Mitwirkung des Bundesrates,
unter Umständen auch an die Zustimmung oder Kontrolle des Reichstags gebunden. Dass der
Kaiser als das Oberhaupt des Reiches die Staatsgewalt ın Elsass-Lothringen ausübt, ist das
charakteristische Merkmal des Reichslands. |
2.DerBundesrathatdas Zustimmungsrecht zu allen Landesgesetzen mit Einschluss des
Landeshaushaltsetats. Zwar steht nıcht dem Bundesrat, sondern dem Kaiser dıe Sanktıon der
Reichsgesetze zu; aber ohne die Zustimmung des Bundesrates kann der Kaiser kein Landesgesetz
erlassen. Dadurch kommt die der Gesamtheit der deutschen Staaten zustehende souveräne Staats-
gewalt zum Ausdruck und der Bundesrat übt über Elsass-Lothringen ein Recht aus, welches ıhm
hinsichtlich keines Bundesstaates zusteht.
3. Der Reichstag hat ein subsidiäres Zustimmungsrecht zu Landesgesetzen, da der
Weg der Reichsgesetzgebung auch hinsichtlich der Landesgesetze zulässig ist. Freilich ist hiervon
niemals Gebrauch gemacht worden.
4. Da das Reichsland kein Mitglied des Bundes ist, so hat es auch keine Mitgliedschaftsrechte,
insbesondere keine Stimmenim Bundesrate.
Auf diese 4 Punkte beschränkte sich der Gegensatz zwischen dem Reichslande und den
Bundesstaaten und auf die Beseitigung derselben war seit einer Reihe von Jahren eine lebhafte
Agıtation gerichtet.
Man kann nicht sagen, dass die Entwicklung der Reichslandsverfassung langsam sıch voll-
zogen habe und namentlich seit 1879 eine Stagnation eingetreten sei; man könnte vielleicht mit
gleichem Recht behaupten, dass die Entwicklung bis zum Gesetz vom 4. Juli 1879 überhastet war
und dass seit diesem Gesetz Elsass-Lothringen eine Verfassung erhalten hatte, welche einen Ruhe-
punkt bilden musste, abgesehen von den verfehlten Vorschriften über die Bildung des Landes-
ausschusses.
Was nun die angegebenen vier Punkte anlangt, in denen das Reichsland von den Bundes-
staaten noch unterschieden war, so sollte durch eine neue Verfassungsreform, welche nach Über-