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ng Elsass-Lothringens.
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Paul Laband, Die Reform der Verfassu
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derselben ein Mitbestimmungsrecht haben? Den Bundesrat kann man sich nicht als dem Organist
mus eines einzelnen Bundesstaats eingefügt denken; er reicht immer darüber hinaus und gehör-
einem Staatsverbande höherer Ordnung an. Für die Bundesregierungen hatte die Mitwirkung an
der Landesgesetzgebung Elsass-Lothringens keinen politischen Wert; für die Regierung des Reichs-
lands aber war die Notwendigkeit, zum Haushaltsetat und zu allen landesgesetzlichen Anordnungen
die Zustimmung des Bundesrats herbeizuführen, eine nicht unerhebliche Erschwerung und Ver-
zögerung der Geschäftsführung, an deren Beseitigung ihr gelegen war. Für die Bevölkerung von
Elsass-Lothringen endlich musste die Ausübung von Hoheitsrechten seitens der deutschen Bundes-
regierungen in Landesangelegenheiten das Gefühl einer Bevormundung erregen und da etwas
Ähnliches in keinem anderen Teile des Reichsgebiets stattfindet, wurde dies als eine Versagung der
Gleichberechtigung empfunden. Es bestand daher ein allgemeines Einverständnis darüber, dass die
Teilnahme des Bundesrats an der Landesgesetzgebung aufhöre und durch den Ausbau des Landes-
ausschusses zu einem aus zwei Kammern bestehenden Landtag ersetzt werden soll. Mit dem Aus-
scheiden des Bundesrats hört auch die indirekte Einwirkung auf, welche das preussische Ministerium
auf die elsass-lothringische Landesgesetzgebung und den Haushaltsetat ausübte. Denn da die
Anträge beim Bundesrat in elsass-lothringischen Angelegenheiten Präsidialanträge waren und als
preussische Anträge behandelt wurden, so war es ausgeschlossen, dass die preussischen Stimmen
gegen dieselben abgegeben wurden; sie mussten daher, bevor sie an den Bundesrat gelangten, vom
preussischen Staatsministerium geprüft und genehmigt werden. Diese Kontrolle des preussischen
Ministeriums über alle Massnahmen der elsass-lothringischen Regierung war sowohl dieser als dem
Landesausschuss unerwünscht.
Was vom Bundesrat gilt, trifft in der Hauptsache auch auf den Reichstag zu. Der
Reichstag konnte nach seiner Zusammensetzung ebensowenig wie der Bundesrat ein Organ der
Landesgesetzgebung sein; die in den Bundesstaaten gewählten Abgeordneten hatten in der Regel
an den besonderen Angelegenheiten des Reichslandes kein Interesse und von den besonderen Ver-
hältnissen und Bedürfnissen der Landesverwaltung keine unmittelbare Kenntnis. Wenn auch tat-
sächlich von der Befugnis, Landesgesetze im Wege der Reichsgesetzgebung zu erlassen, kein Ge-
brauch gemacht wurde, soweit nicht die formelle Gesetzeskraft eines Reichsgesetzes dazu nötigte,
so hatte doch die Regierung die vollkommen freie Wahl, ob sie in Landesangelegenheiten den bundes-
staatlichen oder den reichsländischen Weg der Gesetzgebung beschreiten, d. h. dem Reichstag oder
dem Landesausschuss die Vorlage machen wollte. Die Opposition des Landesausschusses gegen
Gresetzesvorschläge konnte gebrochen werden, wenn die Majorität des Reichstages zustimmte.
Durch diese Möglichkeit wurde ein politischer Druck auf den Landesausschuss ausgeübt; er war
weniger frei als die Landtage der Einzelstaaten. Durch das Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911
wurde daher diese ohnehin unpraktische Zuständigkeit des Reichstags aufgehoben.
Die grössten Schwierigkeiten machte dagegen die Gewährung von Bundesratsstim-
men. Die Schwierigkeiten waren sowohl theoretischer als praktischer Art. Die Stimmführung
ım Bundesrat ist ein Mitgliedschaftsrecht der Bundesstaaten; sie setzt eine von der Reichsgewalt
verschiedene Landesstaatsgewalt voraus; der eigene selbständige Wille der Bundesstaaten kommt
durch die Abstimmung im Bundesrat zur Geltung; das Reichsland dagegen ist kein Mitglied des
Bundes; es gibt in demselben keine von der Reichsgewalt verschiedene Landesstaatsgewalt. Es
ist wıidersinnig, dass das Reich sein eigenes Mitglied ist und Rechte ausübt, welche ein von ihm ver-
schiedenes Subjekt erfordern. Aber die Versagung von Stimmen im Bundesrat bildete ein wirk-
sames Mittel der Agitation, der Erregung von Unzufriedenheit im Lande. Von dem praktischen
Nutzen dieser Stimmen hatte die Bevölkerung keine rechte Vorstellung, aber sie begriff, dass sie
den Bevölkerungen der Bundesstaaten gegenüber zurückgesetzt war, indem sie im Bundesrat keine
Vertretung hatte. Da das Reichsland eine Verfassung hatte, welche der der Bundesstaaten fast ganz
gleich war, so erblickte man gerade in dem Mangel an Bundesratsstimmen die Versagung der Gleich-
berechtigung mit den Bundesstaaten. Dass der Regierung in Strassburg die Einräumung von
Bundesratsstimmen nicht unerwünscht war, ist selbstverständlich. Da der Gesetzgeber nicht ge-
nötigt ist, logisch zu sein, und die Konsequenzen eines Prinzips zu ziehen, so konnte ihn die staats-
rechtliche Natur des Reichslandes nicht abhalten, demselben Stimmen im Bundesrat einzuräumen;
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band II. 14