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912 Paul Laband, Die Reform der Verfassung Elsass-Lothringens.
fällıgen direkten Staatssteuern oder Gemeindeabgaben trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne
Stundung erhalten zu haben, ganz oder zum Teil ım Rückstand sind. Wahlgesetz $ 2 Abs. 3 Ziff. 3
und $ 4 Abs. 2.
Hinsichtlich der Tätigkeit des Landtages, seiner Rechte und der Rechte seiner Mitglieder
gelten diejenigen Regeln, welche auch sonst von den Landtagen und ihren Mitgliedern in Geltung
stehen. Die Vorschriften, welche das Verfassungsgesetz darüber enthält, entsprechen teils den
Artikeln der Reichsverfassung und der preussischen Verfassung, teils den bereits im Gesetz vom
4 Juli 1879 enthaltenen Vorschriften. Hervorzuheben sind nur folgende Besonderheiten: Über
Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen der Landtagsmitglieder entscheidet nicht die betreffende
Kammer, sondern der oberste Verwaltungsgerichtshof und bis zu seiner Errichtung ein Senat des
Oberlandesgerichts.
Es gibt keine Stichwahlen. Soweit sich bei der Hauptwahl keine absolute Mehrheit ergibt,
findet am 7. Tage nach der Hauptwahl eine Nachwahl statt, bei welcher derjenige gewählt ist,
welcher die meisten gültigen Stimmen erhalten hat. (Wahlgesetz $ 10 Abs. 2.)
Dem Kaiser steht es zu, beide Kammern, und zwar gleichzeitig, zu berufen, zu eröffnen,
zu vertagen und zu schliessen. Er kann beide Kammern auflösen ; die Auflösung nur einer derselben
hat für dıe andere den Schluss der Sitzungsperiode zur Folge. (Verfassungsgesetz $ 11.)
Die Geschäftssprache des Landtags ist deutsch; seine Verhandlungen sind öffentlich. (Da-
selbst $ 15.)
Zur Beschlussfähigkeit der ersten Kammer ist die Anwesenheit von mindestens 23 Mitgliedern,
der zweiten Kammer die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder, also
3l, erforderlich. (Daselbst $ 18.)
Für den Staatshaushaltsetat, welcher alljährlich durch Gesetz festgestellt -wird, gelten drei
besondere Vorschriften von grosser Bedeutung. Er muss zuerst der zweiten Kammer vorgelegt
werden und die erste Kammer kann ihn nur im ganzen annehmen oder ablehnen. Dieser Beschluss
der ersten Kammer kann sich nur auf diejenige Gestalt des Etatsgesetzentwurfes beziehen, welche
aus den Beratungen und Beschlüssen der zweiten Kammer hervorgegangen ist. ($ 6 Abs. 1.)
Die zweite Kammer darf ohne Zustimmung der Regierung im Etatsentwurfe nicht vor-
gesehene Ausgaben oder Erhöhungen von Ausgabeposten über den Betrag der von der Landes-
regierung vorgeschlagenen Summe in den Etat nicht einsetzen. ($ 6 Abs. 2.)
Wenn das Etatsgesetz beim Beginn des neuen Wirtschaftsjahres, gleichviel aus weichem
Grunde, nicht verkündigt ist, so bleibt die Regierung ermächtigt, die gesetzlich bestehenden Steuern
und Abgaben fortzuerheben und soweit deren Erträge nicht ausreichen, um die rechtlich begründeten
Verpflichtungender Landeskasse zu erfüllen,sowie Bauten,dieauf Grundeinesdem Landtag vorgelegten
und von ihm genehmigten Bauanschlags ausgeführt werden, fortzusetzen und die gesetzlich be-
stehenden Einrichtungen zu erhalten und fortzuführen, Schatzanweisungen auszugeben. ($ 6 Abs. 3.)
Obgleich diese Sätze nichts enthalten, was nicht ohnehin aus einer richtigen Würdigung des
konstitutionellen Budgetrechts folgt, so ist doch ihre gesetzliche Sanktion von grosser Wichtigkeit,
da jene von der Theorie entwickelten Sätze bekanntlich bestritten sind.
Die angeführten Regeln über die Bildung, Geschäftstätigkeit und Befugnisse der beiden
Kammern und ihre Mitglieder bilden den wichtigsten und wesentlichsten Bestandteil des als Ver-
fassung von Elsass-Lothringen bezeichneten Art. II des Reichsgesetzes vom 31. Mai 1911, aber nıcht
den einzigen. Der Erlass des Gesetzes bot zunächst die Gelegenheit, die schlechte Fassung der Be-
stimmungen des Gesetzes vom 4. Juli 1879 über die Stellung des Kaiserlichen Statthalters zu ver
bessern, Zweifel, die über ihre Auslegung entstanden waren, zu erledigen und die Anordnungen den
neuen Verhältnissen entsprechend zu ergänzen.
Sodann wurde das streitig gewordene Verhältnis der Landesregierung zur Reichsregierung
hinsichtlich der beiderseitigen Hoheitsrechte über das Eisenbahnwesen dahin geordnet, dass das
Reich in Elsass-Lothringen das Eisenbahnmonopol hat und dass, soweit es selbst Eisenbahnen baut
oder betreibt, die Ausübung der auf den Bau und Betrieb der Eisenbahnen sich beziehenden Rechte
der Reichsverwaltung zustehen; dass jedoch die Landesbehörden anzuhören sind, bevor Entschei-
dungen der Reichsbehörden ergehen, welche die Verkehrsinteressen des Landes berühren oder ın