Ludwig Bernhard, Die preussische Polenpolitik.
ums
2. DieVersöhnungspolitik Friedrich WilhelmsIll.und ihre Folgen.
Im Sinne dieser Proklamation wurde die neugebildete Provinz, die den Namen Grossherzog-
tum Posen erhielt, und in ihrem Wappen auf der Brust des preussischen Adlers den polnischen Adler
führen durfte, verwaltet. Neben dem Oberpräsidenten, jedoch gesellschaftlich ihm überlegen, stand
der Statthalter Fürst Anton Radziwill aus altem polnischen Geschlecht. Und da in der herrschenden
Schlachta der gesellschaftliche Einfluss politisch stark zu wirken pflegt, blieb der polnische Charakter
auch in der Verwaltung vorherrschend. Die preussische Regierung besetzte eine Reihe höherer
Beamtenstellen mit Polen, ferner wurden die Mitglieder angesehener polnischer Familien in das
preussische Offizierkorps gezogen, auch überliess man die Wahl der Landräte den Ständen, sodass
in den überwiegend polnischen Kreisen längs der russischen Grenze alle Landratsposten mit pol-
nischen Adligen besetzt waren.
So gruppierten sich die polnischen Beamten um den Hof des Statthalters Fürsten Radziwill,
der der Verwaltung einen polnisch-preussischen Mittelpunkt zu geben schien.
Jedoch in der Stille sonderte sich ein Teil des Landadels von der Radziwillgruppe ab, verlegte
den Schwerpunkt der Tätigkeit auf das Land und begann — seit 1825 etwa — einen Aufstand vorzu-
bereiten. Die Sezession wurde durch Zuzüge aus Russisch-Polen unterstützt, und als im November
1830 der Aufruhr im benachbarten Polen wirklich ausbrach, zog die adlige Jugend zur Hilfe über die
Grenze, geführt und gefolgt von polnischen Landräten und anderen preussischen Beamten polnischer
Nationalität.
Nachdem die Teilnahme der polnischen Landräte an den Unruhen der Jahre 1830/31 er-
wiesen war, verfügte Friedrich Wilhelm III. am 3. Februar 1833:
Die Wahl der Landräte durch die Kreisstände sei für die Provinz Posen suspendiert und
die Besetzung der Stellen der Regierung vorbehalten.
Da jedoch dıese Massnahme nichts fruchtete, die preussischen Landräte vielmehr durch die
in den Landgemeinden schaltenden polnischen ‚Woyts an jeder durchgreifenden Tätigkeit be-
hindert wurden, verfügte der König ım Jahre 1836 die Beseitigung der Woyts, die Teilung der
Kreise in je zwei bis drei Distrikte und die Anstellung von Distriktskommissaren zur Unterstützung
der Landräte.
Die Folge dieser notwendigen Verfügungen war, dass jetzt die Polen unter’ Protest zum grossen
Teil ihre Stellen im preussischen Staatsdienst nıederlegten und auch ihre Söhne veranlassten, sich
von den Laufbahnen des preussischen Staates fernzuhalten.
Die Entfernung der Polen aus den höheren Verwaltunesstellen ist sehr verschieden beurteilt
worden. Man hat darauf hingewiesen, dass der preussische Staat damit ein wirksames Mittel aus
der Hand gab, das ıhm einen dauernden Einfluss auf die cesellschaftlich und politisch führenden
polnischen Familien gesichert hätte. Auch hat man betont, dass gerade durch die Entfernung der
Polen aus der preussischen Verwaltung die tüchtigsten polnischen Kräfte frei wurden für national-
polnische. Organisationen.
Andererseits jedoch ist nicht zu bezweifeln, dass nur so eine administrative Beherrschung der
Grenzprovinzen erreichbar war. Nur so vermochte die Staatsverwaltung sich gegen gefährliche
Indiskretionen und Intriguen zu schützen, nur so war die Einheit des Beamtenkörpers zu sıchern.
Hierzu kommt, dass dıe Polen selbst den Hauptwert auf dıe Erlangung der Landratsstellen ın den
überwiegend polnischen Kreisen legten; unmöglich aber konnte die Regierung die Verwaltung der
Grenzbezirke einer unruhigen, von ausländischen Strömungen abhängigen Gesellschaft anvertrauen.
3. Versöhnungspolitik Friedrich Wılhelms IV.
Trotz dieser Erfahrungen wiederholte Friedrich Wilhelm IV. den Versuch, den polnischen
Wünschen entgegenzukommen, ın der Hoffnung, so Frieden und Zufriedenheit zu gewinnen. Auf
einer Rundreise hatte der König kurz nach seinem Regierungsantritt die hervorragendsten pol-
nischen Aristokraten kennen gelernt und die feste Überzeugung gewonnen, dass es durchaus möglich
sel, diese liebenswürdige Bevölkerung durch eine wohlwollende Politik zu fesseln.
Der Oberpräsident Graf Arnim und sein Nachfolger v. Beurmann erhielten daher die Weisung
„die Herzen zu gewinnen‘. Rücksichtsvolle Nachgiebigkeit wurde in allen Zweigen der Verwaltung