Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

Ludwig Bernhard, Die preussische Polenpolitik. 
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sichern. Denn infolge der Sinkens der Getreidepreise und der Notlage der Landwirtschaft waren 
zahlreiche Güter zu billigen Preisen zu haben und der Staat konnte sich, wenn er nur zugriff, zu- 
sammenhängende Gebiete in so grossem Umfange verschaffen, dass kein polnischer Widerstand 
fähig gewesen wäre, die Durchführung der Ansiedlungspolitik zu hindern. 
Leider hat man diese Gelegenheit verpasst, weil 1890 nach der Entlassung Bismarcks eine 
„Versöhnungspolitik‘“ inauguriert wurde, die das klug und gross angelegte Unternehmen plötzlich 
lahmleste. Zwar fuhr der Präsident der Ansiedlungskommission fort Güter zu kaufen, jedoch unter 
dem Druck der neuen Politik konnte er die Marktlage nicht ausnutzen und musste ausserdem mit 
ansehen, wie die preussischen Behörden den polnischen Ansiedlungsbanken seit 1892 Rentenguts- 
kredit zur Verfügung stellten und so der Ansiedlungskommission eine gefährliche polnische Kon- 
kurrenz grosszogen. 
  
  
4. Der Kampfumden Boden. 
Als die Regierung im Jahre 1895 zum alten Kurse der Ansiedlungspolitik zurückkehrte, war 
die glänzende Gelegenheit verpasst und die Ansiedlungskommission stand einer weit schwierigeren 
Aufgabe gegenüber: 
1. waren die brüchigsten Stellen aus dem polnischen Grossgrundbesitz durch die Ankäufe 
von 1886 bis 1895 und durch die neu erstandene polnische Parzellierungskonkurrenz beseitigt worden. 
2. zogen die Preise der landwirtschaftlichen Produkte wieder an und die Not der Landwirt- 
schaft liess nach. 
Infolgedessen verringerte sich das Angebot von Gütern. 
Hierzu kam die polnische Aktion: Die Polen hatten ihre wirtschaftlichen Kräfte jetzt gleich- 
sam auf das eine Problem — Kampf um den Boden! — konzentriert. Sie hatten in dem seit 1886 
verflossenen Jahrzehnt in mühevollen, an Enttäuschungen reichen Versuchen festgestellt, dass es 
möglich sei, das polnische Proletariat, das bis dahin nach Amerika auswanderte, in der Heimat anzu- 
siedeln. Sie hatten festgestellt, dass diese bedürfnislosen Ansiedler fähig und bereit waren, ihr 
Stückchen Land der Frau zu überlassen, während sie selbst jahrelang in den westfälischen Berg- 
werken arbeiteten, um mit ihren Ersparnissen den hohen Kaufpreis hoch zu verzinsen und schnell zu 
amortisieren. 
Einen Strom solcher Ansiedlungslustiger hatte man herangezogen, hatte die Art der Finan- 
zierungen der neuen Aktion angepasst und das ganze System der Bauernvereine und Genossen- 
schaften in den Dienst des Bodenkampfes gezogen. So wurde der Kampf um den Boden das kritische 
Moment, das alle Kräfte der Polen an sich riss, und den polnischen Führern stand sichtbar und auf- 
dringlich vor Augen, dass sie alles auf diese Karte setzen mussten, um die bescheidene polnische 
Volkswirtschaft in diesem einen Punkt zu überragenden Leistungen fähig zu machen. 
Sobald der Erfolg sich zeigte, griff die Spekulation ein: „Ein Fleckchen Erde in der Heimat“, 
Parzellen von 1 bis 6 Morgen kosteten damals 100 bis 800 Mark. Da jedoch der polnische Westfale 
aus seinen Lohnersparnissen das 1/sfache und Doppelte aufbringen bezw. verzinsen konnte, wurde 
für die kleinen Parzellen das 145fache und Doppelte des Wertes gefordert. Dabei trat nicht einmal 
notwendig eine Überschuldung ein, sondern der Pole, der für eine Parzelle von 300 Markdas Doppelte 
zahlen musste, gab zunächst 200 Mark aus seinen Ersparnissen und tilgte den Rest im Laufe der 
Jahre, und wenn er dabei zugrunde ging, trat ein anderer an seine Stelle. Es gab ja landhungrige 
Menschen genug, die bereit waren, die hypothekenbslastete Parzelle zu übernehmen und die Schulden 
in mühseliger Arbeit abzufrohnden. Die preussische Ansiedlungskommission zahlte mit Geld, die 
Polen zahlten — mit Menschen. 
Natürlich liess sich das spekulative deutsche Kapital diese Gewinnchance auch nicht 
entgehen und jeder, der im östlichen Güterhandel Geld verdienen wollte, kannte bald den Erfahrungs- 
satz: „An Polen zu parzellieren ist rentabel; an Deutsche zu parzellieren ist unrentabel”, denn der 
Deutsche steht wirtschaftlich und kulturell zu hoch, um, wie der kleine Pole, um ein Stückchen Erde 
zu fronden. Den Deutschen zieht es nicht in den Osten, den der Pole so liebt; der Deutsche ist daher 
nicht so landhungrig in unserem Osten, er lässt sich nicht ausbeuten, begnügt sich nicht mit Jammer- 
vollen Gebäuden oder Gebäuderesten. In der Tat: An Deutsche zu parzellieren war unrentabel; an 
  
    
    
  
  
  
  
  
  
 
	        
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