Fritz Zadow, Der deutsche Kolonialbestand.
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trotz seiner ungeheuren Ausdehnung wegen seiner Wasserarmut und Steppennatur nur für eine
beschränkte Zahl von Sıedlern ın Betracht, die sıch dort als Farmer, Handwerker oder Kaufleute
niederlassen können. Wenn auch die besiedelungsfähigen Flächen auf die doppelte Grösse des
Deutschen Reiches veranschlagt werden, so ist das wirklich ın Betracht kommende Besiedelungs-
gebiet schon aus dem Grunde kleiner, weıleingrosser Teil des Bodens bereits von den Eıingeborenen in
Besitz genommen ist. Ausserdem müssen, wie Hassert?) mit Recht betont, die für Europäer be-
stimmten Einwanderungsgebiete einen verlockenden Reichtum an Bodenerzeugnissen aufweisen
und ausgedehnt genug sein, um einer starken Einwanderung Selbständigkeit und Sicherheit zu ge-
währen; denn die Ansiedler und ıhre Nachkommen müssen mindestens die gleiche, wenn nicht eine
bessere Lebensstellung zu gründen ımstande sein als daheim. Dann aber müssen die besiedelungs-
fähigen und wegen des Mangels an brauchbaren Verkehrswegen schwer erreichbaren Binnenhoch-
länder durch Eisenbahnen mit der Küste verbunden sein, damıt dıe neu ankommenden Ansiedler
die fieberreichen Niederungen rasch überwinden und ungefährdet ın dıe malariafreien Binnenland-
schaften gelangen können, ganz abgesehen davon, dass der Kolonist nur durch den Schienenweg
die Möglichkeit eines gewinnbringenden Absatzes seiner Erzeugnisse hat und die für seine Wirt-
schaft notwendigen Dinge rasch und billig erhalten kann. Bevor nicht diese Vorbedingungen er-
füllt sind, können die tropischen Schutzgebiete für dıe Auswanderung überhaupt nicht in Betracht
kommen.
Die zweite Frage, welche Vorteile de deutsche Industrie und damit die gesamte
Arbeiterschaft von den Kolonien haben kann, ist dahın zu beantworten, dass für eine Anzahl von
Gewerben sich ein Absatzgebiet in den Kolonien schaffen lässt und zwar gilt das zunächst für die
Herstellung von Eisenbahnmaterial, ferner für die Maschinenindustrie, für das Textilgewebe, für
Haushaltungs- und Bedarfsgegenstände und endlich für die Kalıindustrie. Der Absatz von Fabri-
katen der deutschen Industrie nach den Kolonien ist für die deutsche Volkswirtschaft in zweierlei
Hinsicht von grosser Bedeutung: Während einerseits für den Industriellen, für den Unternehmer
und für den deutschen Arbeiter neue Arbeit geschaffen wırd, kann andererseits durch die Ausfuhr
nach den Schutzgebieten für diejenigen Absatzgebiete Ersatz geschaffen werden, die dem Mutter-
lande durch die Schutzzölle und Handelspolitik der Vereinisten Staaten, Frankreichs, Russlands
und Kanadas verschlossen worden sind. Da es ferner zweifelhaft ıst, ob England an dem Grund-
satz des Freihandels festhält und auch den Handelsverträgen mit südamerikanischen Staaten
wie Brasilien und Argentinien sich dauernd Schwierigkeiten in den Weg stellen, so verschlechtert
sich mehr und mehr die Lage des deutschen Exporthandels und der deutschen Exportindustrie
auf dem Weltmarkt. Wenn es auch Aufgabe der Regierung ıst, diese Schwierigkeiten nach Möglich-
keit zu beseitigen und Aufgabe des Exporteurs, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen,
so besitzt Deutschland ın seinen Kolonien doch ein Mittel, das der Exportindustrie neue Absatz-
gebiete verschafft und später als Waffe bei handelspolitischen Kämpfen dienen kann.
Wichtiger als der Absatz von Fabrikaten nach den Kolonien ist für Deutschland die Pro-
duktıon kolonıaler Rohstoffe, die es sowohl für seine Industrie, als auch zur Er-
nährung seiner Bevölkerung gebraucht. Obgleich die deutsche Landwirtschaft beständig ıhre Er-
trägesteigert, so vermag sie doch nur noch dreiviertel der Volksmenge zu ernähren, weshalb Deutsch-
land in wachsendem Masse auf die Einfuhr aus fremden Wirtschaftsgebieten angewiesen ist; es
muss diejenigen Waren einführen, die es entweder nicht genügend produziert, wie Getreide, Wolle
usw., als auch diejenigen Produkte, die es infolge seiner subtropischen Lage überhaupt nicht produ-
zieren kann und daher aus Ländern innerhalb der Wendekreise beziehen muss.
Deutschlands gesamte Einfuhr an landwirtschaftlichen Erzeusnissen beträgt jährlich etwa
4 Milliarden Mark, wovon über 2 Milliarden auf tropische Produkte entfallen; davon liefern die deut-
schen Kolonien bıs jetzt erst 2 Prozent. Infolge seiner einseitigen subtropischen Landwirtschaft
ist Deutschland ım Nachteil gegen dıe Länder, die gleichzeitig eine tropische und eine subtropische
Landwirtschaft besitzen, wie es in erster Reihe bei Holland, England und Frankreich zutrifft.
Auch die nordamerikanische Union ist neuerdings in der Lage, gleichzeitig zweierlei Landwirtschaft
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