Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
Fritz Zadow, Der deutsche Kolonialbestand. 
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wurde, erteilte Kaiser Wilhelm I. den ersten Schutzbrief am 27. Februar 1885 der ‚‚Gesellschaft 
für deutsche Kolonisation‘“, deren Ländereien in Afrika dadurch unter die „‚ÖOberhoheit‘ des 
Reiches und in „kaiserlichen Schutz“ genommen wurden. Das hierdurch zwischen dem Reich und 
dem betreffenden Kolonialgebiet hergestellte Verhältnis wurde „Schutzgewalt‘‘ genannt, während 
die Territorien, auf welche sich seine Gewalt bezog, als „Schutzgebiete“ bezeichnet wurden. Da 
sich jedoch bald die Undurchführbarkeit und Unzweckmässigkeit des Systems der Schutzbriefe 
herausstellte, weil die von privater Seite geleiteten kolonıalen Unternehmungen sich den ihnen 
übertragenen verantwortungsvollen öffentlich-rechtlichen Aufgaben nicht gewachsen zeigten und 
teils in administrativer, teils in militärischer und finanzieller Hinsicht versagten, so wurden ihnen 
nach und nach die ötfentlich-rechtlichen Befugnisse wieder entzogen und heute übt das Reich alle 
Staatshoheitsrechte in den sogenannten Schutzgebieten selbst aus. So gibt die historische Ent- 
wickelung eine Erklärung für die noch heute in der amtlichen Sprache, ın Kolonialgesetzen und 
Verordnungen gebrauchten Bezeichnungen „Schutzgebiet“ und „Schutzgewalt”, die immer wieder 
zu falschen Schlussfolgerungen über die rechtliche Bedeutung ıhres Inhalts Veranlassung geben, 
so dass ihre Abschaffung sehr wünschenswert ist; denn die Schutzgebiete sınd ‚Kolonien‘ im eigent- 
lichsten Sinne des Wortes, unter welcher Bezeichnung man solche, meist überseeische Besitzungen 
von Kulturstaaten zu verstehen pflest, welche den Zweck haben, besonders den handelspolitischen 
und wirtschaftlichen Interessen des besitzenden Staates zu dienen, den man als Mutterland 
bezeichnet. 
  
  
a) Der Erwerb der Schutzgewalt. 
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1. DieKompetenzdesReicheszum Erwerb 
Die Frage, ob dem Deutschen Reiche überhaupt die Kompetenz zum Erwerbe von Kolonien 
zusteht, ist sowohl in völkerrechtlicher als auch in staatsrechtlicher Hinsicht zu bejshben, 
Grundlage der völkerrechtlichen Kompetenz ist die Eigenschaft des Reiches 
als eines Subjekts des Völkerrechts, eines Trägers von völkerrechtlichen Rechten und Pilichten, 
wodurch seine völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit begründet wird. Da jeder Staat 
berechtiet ist, durch völkerrechtlich gültige Akte seine Gewalt auf fremde Gebiete auszudehnen, 
so war auch das Deutsche Reiche infolge seiner Eigenschaft als völkerrechtlich anerkannter Staat 
berechtigt, Kolonien zu erwerben. 
Die staatsrechtliche Kompnstenz beruht einmal darauf, dass das Reich ein souve- 
räner Staat mit allen Rechten eines solchen ist, andererseits auf ausdrücklichen, genau festgelegten 
Gesetzesnormen. Das Orcan des Reiches, das allein im Namen des Reiches Kolonien erwerben 
kann, ist gemäss Artikel 11 der Reichsverfassun®®) der Kaiser, welchem die völkerrechtliche 
Vertretung des Reiches nach aussen zusteht. Jedoch ist zum Erwerb und zur Abtretung eines 
Schutzeebietes nach ausdrücklicher Vorschrift des durch Reichsgesetz vom 16. Juli 1912 (Reichs- 
cesetzblatt S. 443) dem $ 1 des Schutzgebietsgesetzes zugefügten Absatz 2einReichsgesetz 
erford:rlich. Dasselbe eilt, wenn Teile einer fremden Kolonie erworben oder einer eignen Kolonie 
aboetreten werden sollen, während die Vorschrift auf Grenzberichtigungen keine An- 
wendung findet. | 
9, Die völkerrechtlichen RechtstitelderaufGrundder Kompetenz 
erfolgten Erwerbung der Schutzgebiete. 
  
  
Völkerreehtlicher Erwerbstitel für die deutschen Schutzgebiete ist bei den meisten 
der orisinäre der Okkupation, bei einzelnen der derivative des völkerrechtlichen 
Vertrages. Innerhalb der ersten Gruppe kann man weiter unterscheiden, ob nur Okkupation 
— |. 
18) Im folgenden als „R. V.* bezeichnet.
	        
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