Fritz Zadow, Der deutsche Kolonialbestand.
241
Bei der Betrachtung der Schutzgewalt in ihrer Beziehung zu der Bevölkerung der
Schutzgebiete ist auszugehen von dem Satze: „quidquid est In territorio, est etiam de territorio““.
Nach diesem Territorialprinzip ergreift die Schutzgewalt auch alle sich in den Schutzgebieten auf-
haltenden Personen als Objekte der Staatsgewalt; jedoch nehmen die verschiedenen Bevölkerungs-
kreise in den Schutzgebieten eine verschiedene Rechtstellung en. Man kann dıe Angehörigen
der Schutzgebiete in vier Gruppen einteilen, nämlich: Reichsangehörıige, nicht
eingebürgerte fremde Weisse, Eıngeborene der Schutzgebiete,
Angehörige fremder farbiger Stämme.
a)Die Reichsangehörigen sind Personen, die auf Grund des ‚„Reichs- und Staats-
angehörigkeitsgesetzes‘‘ vom 22. Juli 1913°) die Staatsangehörigkeit ın einem Bundesstaate®?)
oder de unmittelbare Reichsangehöriıgkeit besıtzen. Letztere kann verliehen
werden: l.emem Ausländer, dersich ın einer Kolonie niedergelassen hat, oder einem Eın-
geborenen in einer Kolonie, — 2. einem ehemaligen Deutschen, der sıch nicht
im Inlande niedergelassen hat; dem ehemaligen Deutschen steht gleich, wer von ıhm abstammt oder
an Kindesstatt angenommen ist??). Im Gegensatz zum früheren Rechtszustand gelten aber die
Kolonien nach der ausdrücklichen Vorschrift des $2, Abs. 2 des Gesetzes vom 22. Julı 1913 im Sinne
dıiesesganzen Gesetzes alsInland.— Auch duchAnstellungımReıchsdienst
können Ausländer wie Eingeborene, sofern sie in den Schutzgebieten ıhren dienstlichen Wohnsitz
haben, die Reichsangehörigkeit erwerben, weil die Bestallung die Stelle dr Einbürgerung®%)
vertritt. Die Reichsangehörigen sind der Schutzgewalt als der souveränen Reichsgewalt voll und
ganz unterworfen und sind rechtlich Untertanen des Deutschen Reichs; sıe haben ım Reich sowohl-
wie ın den Schutzgebieten grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund des gemein-
samen Indigenats des Artikels 3R. V. So findet z. B. auf diese Personen kraft ausdrücklicher Vor-
schrift des 8$9 Abs. 2 Sch. G. der $ 4 des Wahlgesetzes zum Reichstag vom 31. Maı 1869 Anwendung,
nach welchem sie ein Jahr nach dem Erwerb der Reichsangehörigkeit das passıve Reichstags-
wahlrecht erlangen; dagegen nicht das aktive Wahlrecht, welches nach $ 1 des Gesetzes vom
31. Mai 1869 am Wohnsitze inne’halb eines Bundesstaats ausgeübt werden muss.
b)Nicht eingebürgerte fremde Weisse. Sıestehennichtineinem recht-
lichen Untertanenverbande zum Deutschen Reich und unterliegen nur deshalb der Schutzgewalt,
weil diese sich vermöge ihres territorialen Charakters auf alle Bewohner des Territoriums erstreckt.
Als de facto-Untertanen haben sie einen rechtlichen Anspruch auf den Schutz des Reiches, und
urterliegen deutschen Gesetzen und deutscher Gerichtsbarkeit solange sıe sıch in dem Schutzgebiet
aufhalten. Laband nennt diese Kategorie vor Schutzgebietsangehörigen ‚„Schutzgenossen‘““;
indessen erscheint dieser Ausdruck nicht zweckmässig, weil er den Anschein erweckt, es handle sich
um einen durch Staatsvertrag den Angehörigen bestimmter Staaten zugesicherten Schutz,
also um „Schutzgenossen“ ım völkerrechtlichen Sınn.
c) Die Eıngeborenen der Schutzgebiete. Sie nehmen eine derartige
Stellung ein, da sie weder als de facto-Untertanen noch als Reichsangehörige angesehen werden
können. Da sie der Schutzgewalt des Reiches vermöge des territorialen Charakters grund-
sätzlich, nicht nur tatsächlich unterstehen, so sind sie Untertanen des Reiches, ohne die Reichs-
angehörigkeit zu besitzen und ohne der Rechte und Pflichten des Indigenats — Art. 3 R.V. —
teilhaftig zu sein. Für ıhr Verhältnis zum Reich ist der Ausdruck „Schutzgebietsangehörigkeit“
geprägt worden, welcher Begriff in der kaiserlichen Verordnung betreffend die Verleihung der
deutsch-ostafrikanıschen Landesangehörigkeit vom 24. Oktober 1903 zum ersten Mal genauer
festgelegt wurde; die Verleihung erfolgt auf Antrag an solche Farbige, die nicht der ostafri-
kanischen Kolonie entstammen, sich aber dort niedergelassen haben, z. B. englische Inder.
31) Dieses Gesetz ist am 1. Januar 1914 an die Stelle des „Reichsgesetzes über die Erwerbung und den
Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit‘ vom 1. Juni 1870 getreten.
-) Elsass-Lothringen gilt im Sinne dieses Gesetzes als Bundesstaat ($ 2 Abs. 1).
33) 8 33.
s4) Verdeutschung des bisherigen Gesetzesausdrucks: Naturalisation.
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band III. 16