Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

358 G. Kleinfeller, Kolonien und Deportation. 
  
  
  
  
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Die relativen Theorien verlangen die Strafe, damit ın Zukunft Verbrechen nicht begangen 
werden; punitur, ne peccetur. Es wird nur nach dem Zwecke, nicht nach dem Grunde der Strafe 
gefragt. Generalprävention in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Bürger von Verbrechen abge- 
halten werde, ist mit der D. weniger wie mit einem anderen Strafmittel erreichbar, weil für die grosse 
Masse der Satz gilt: aus den Augen, aus dem Sınn. Der Anblick auch nur der Aussenseite eines Ge- 
fängnisses kann als Mahnung wirken. Aber das, was auf einer Südseeinsel vorgeht, wird in den 
Vorstellungskreis der Allermeisten noch viel seltener eintreten als die Drohung einer im Inlande zu 
vollziehenden Strafe oder der inländische Strafvollzug selbst. Weil jede Vorstellung von dem ge- 
drohten Übel fehlt, kann weder die Drohung noch der Vollzug im Inlande abhaltend wirken. Ob 
und wie häufig phantastische oder abenteuerlustige Gemüter durch Berichte von dem Leben in 
der Strafkolonie zu Verbrechen ermuntert werden, wie das für Frankreich behauptet wird, entzieht 
sich gegenüber einem in keiner Weise näher bestimmten Strafmittel jeder Beurteilung. Von den 
Möglichkeiten der Spezialprävention, welche Abhaltung des Bestraften vom Rückfall bezweckt, 
scheiden Abschreckung und Besserung ohne weiteres aus. Abschreckung durch Strafdrohung hat 
überhaupt wenig Wert, weil der Verbrecher entweder die gesetzliche Drohung nicht kennt oder sich 
mit der Hoffnung tröstet, nicht erwischt zu werden. Bei der D. kann der Abschreckung noch die 
Hoffnung entgegenwirken, schlimmstenfalls nach Erstehung der Strafe eine selbständige, wirt- 
schaftliche Existenz in der Kolonie zu erlangen, während in der Heimat jede solche Hoffnung aus- 
geschlossen ist. Personen aber, auf welche abstrakte Strafdrohungen abhaltend wırken, bedürfen 
nicht der Bedrohung mit den schärfsten Mitteln, weil sie Strafe überhaupt scheuen. Die Abschrek- 
kung durch den Strafvollzug ist nicht möglich, weil der mit D. Bestrafte nicht noch einmal deportiert 
werden kann; die Aussicht auf Verschickung an einen anderen Ort mit noch 
ungünstigeren Lebensbedingungen würde wieder nur als Drohung wirken können. Besserung 
kann nicht bezweckt werden, denn der Deportierte soll auch nach Vollzug der Strafe 
Kolonisationszwecken dienen; für die Heimat ist es also gieichgiltig, ob er sich bessert oder 
nicht; würde man ihn für besserungsfähig halten, so brauchte man ihn nicht zu deportieren. 
Dass die fremde Luft und fremde Umgebung den Menschen innerlich umkehrt, ist auch nicht zu 
erwarten. Die D. soll den Verurteilten für immer von der Heimat fern halten; sie wirkt also lebens- 
länglich, wenn auch der Zustand des Strafzwanges i. e. S zeitlich beschränkt wird und der Ver- 
brecher nach Ablauf dieser Zeit freier Kolonist wird. Die Lebenslänglichkeit nımmt dem Depor- 
tierten die Hoffnung auf die Heimkehr; damit aber verzichtet der Staat, abgesehen von der nur 
selten zu benützenden Möglichkeit der Begnadigung auf einen wichtigen Antrieb zur Besserung. 
Der Staat bekennt damit, dass er bei der D. auf den Besserungszweck verzichtet. Mit der äusser- 
lichen Besserung durch Erziehung zum bürgerlichen Wohlverhalten steht es nur insoferne anders 
als die primitiven Verhältnisse die Gelegenheit zu vielen Delikten ausschliessen, für Rohheitsdelikte 
aber bei dem vorgeschrittenen Alter, in welchem sich die Deportierten nach Erstehung einer langen 
Strafzeit befinden, der günstige Boden regelmässig fehlt. Wenn die bedingt oder unbedingt Ent- 
lassenen in der Kolonie seltener rückfällig werden, so liegt das nicht am Besserungserfolg, sondern 
an den für Verbrechen weniger günstigen äusseren Bedingungen. 
Es bleibt daher lediglich der Sicherungszweck. Die Heimat soll dauernd gegen die aus dem 
Rückfall entstehende Belästigung gesichert werden. Dieses Ziel kann nur gegenüber Personen verfolgt 
werden, die sich zur Kolonisationsarbeit eignen, und kann auch in dieser Beschränkung nur durch 
einen unverhältnismässigen Kostenaufwand erreicht werden. Als entscheidend muss man in 
dieser Hinsicht betrachten, dass das zur Überwachung erforderliche Personal umso schwieriger 
beschafft werden kann als schon in der Heimat der geeignete Ersatz der Gefängnisaufseher nicht 
leicht ist und dass die besseren, zuverlässigeren Elemente sich voraussichtlich nicht zum Vollzug 
in den Kolonien melden werden. Können auch Entweichungsversuche durch die insulare Lage des 
Vollzugsortes beschränkt werden, so ist doch selbst eine Insel nicht vollständig vom Verkehr ab- 
zuschliessen. Liesse sich auch die Briefpost durch Kriegsschiffe vermitteln, ein kaum ausführbarer 
Gedanke, so nötigt doch die Ein- und Ausfuhr von Waren zum Verkehr anderer Schiffe; ebenso 
kann das Landen von Schiffen fremder Nationen nicht absolut verhindert werden. Gelegenheit 
zum Entweichen und zur Begünstigung des Entweichens fehlt also auf einer Insel nicht vollständig. 
  
  
  
  
    
    
  
  
  
    
  
    
  
  
  
  
    
    
 
	        
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