Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
964 Gottlob Eygelhaaf, Die Wiedergeburt des Deutschen Reiches. Der Dreibund. 
  
  
  
Das ergab zusammen 69 Stimmen. Das Plenum sollte aber wesentlich nur bei Abänderung der 
Grundgesetze in Tätigkeit treten. Für gewöhnlich wurden 17 Stimmen abgegeben, wovon elf 
auf die vorhin an erster Stelle genannten grösseren Teilhaber von Österreich bis Luxemburg ent- 
fielen (Virilstimmen), während die kleineren Mitglieder zu 6 sog. Kurialstimmen zusammengefasst 
waren. Für diese kleinere Bundversammlung ward der Name ‚Bundestag‘ üblich. Dieses un- 
gefüge Staatswesen mit seiner allen wirklichen Machtverhältnissen hohnsprechenden Stimmen- 
verteilung, seinem völligen Mangel an einer kräftigen Zentralgewalt und an freiheitlichen Bundes- 
einrichtungen war kaum etwas anderes als die Wiederbelebung des 1806 zusammengebrochenen 
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, nur ohne Kaiser. Es erregte von Anfang an die 
lebhafte Unzufriedenheit aller Patrioten und wurde 1848—50 während der revolutionären Bewegung, 
die von Frankreich ausgehend Deutschland und Italien ergrifi, durch die Nationalversammlung 
in der Paulskirche zu Frankfurt (18. Maı 1848 bıs 18. Juni 1849) zu reformieren versucht, im Sinne 
der Umwandlung in einen freiheitlichen, von dem hohenzollernschen Erbkaiser geleiteten Bundes- 
staat. Allein dieser Versuch scheiterte an der Abneigung Friedrich Wilhelms IV. von Preussen 
gegen einen von der Revolution ihm angebotenen Kaiserthron, der auch stets ein zweifelhafter Besitz 
gewesen wäre, und des Königs eigenes Unternehmen, durch Vereinbarung mit seinen Mitfürsten 
Deutschland eine bessere Verfassung zu geben, misslang, weil Österreich unter der Leitung des 
Fürsten Felix Schwarzenberg sich Preussen entgegenwarf und die Königreiche Sachsen, Hannover, 
Bayern und Württemberg sıch aus Sorge um ıhre bedrohte Souveränität an seine Seite stellten. 
Der Bundestag, der sich am 12. Juli 1848 aufgelöst hatte, ward am 2. September 1850 von Öster- 
reich für hergestellt erklärt, und Preussen trat ihm, nachdem der Minister Otto von Manteuffel im 
Namen des Königs ın den Olmützer Verhandlungen den bisherigen Standpunkt preisgegeben hatte, 
durch Entsendung des Gesandten von Rochow am 14. Maı 1851 ebenfalls wieder bei. 
Was aber damals misslang, das ist anderthalb Jahrzehnte nachher durchgeführt worden. 
Zwar hatte zunächst nach dem Scheitern der revolutionären Bewegung bei der allgemeinen Er- 
schlaffung der Gemüter die Reaktion die Oberhand, welche sich in der Aufhebung der von dem 
Frankfurter Parlament beschlossenen ‚‚deutschen Grundrechte‘ durch den Bundestag (am 23. Au- 
gust 1851), in der Umwandlung der preussischen I. Kammer in ein Herrenhaus, im Abschluss von 
Konkordaten mit dem römischen Stuhl, durch welche z. B. in Österreich 1855 die Schule der Kirche 
überantwortet ward, überhaupt ın allgemeiner Zurückdrängung der freiheitlichen Ideen zu gunsten 
der Polizeigewalt kundgab, und die Regierungen fanden bei dieser Politik die Zustimmung ıhrer 
Volksvertretungen, deren Mehrheiten ebenfalls reaktionär waren (sog. preussische Landratskammer, 
gewählt im Juni 1849). 
Die Kraft der reaktionären Strömung hielt aber nur einige Jahre an und erzeugte bald einen 
liberalen Gegendruck, der ın Preussen am 6. November 1858, nachdem der Prinz Wilhelm für seinen 
an einem unheilbaren Gehirmnleiden erkrankten Bruder die Regentschaft übernommen hatte, zur 
Ernennung des sog. Ministeriums der liberalen Ara führte, Der italmische Krieg von 1859, 
in dem Kaiser Napoleon III. von Frankreich dem König Viktor Emanuel II. von Sardinien 
gegen Österreich Hilfe leistete und ihm den Besitz der Lombardei verschaffte, war insofern ein Sieg 
der nationalen und liberalen Ideen, als dadurch die Einigung des bisher unter sieben Herrschern 
zerspaltenen Italiens unter dem Hause Savoyen (1861) herbeigeführt und in ihm die verfassungs- 
mässige Regierungsiorm statt der absolutistischen verwirklicht wurde. Das wirkte auf Deutschland 
zurück; die Bestrebungen, auch hier Einheit und Freiheit zu erlangen, lebten neu auf, und es ent- 
stand 1859 unter der Führung des Hannoveraners Rudolf v. Bennigsen der deutsche National- 
verein, der Preussen, aber einem liberal regierten Preussen, die Führerschaft in Deutschland zu- 
erkannte. Da eine Zeitlang die Meinung herrschte, als ob die Franzosen das für Österreich Partei 
nehmende Deutschland angreifen würden, so setzte der Prinzregent einen Teil des preussischen 
Heeres auf Kriegsfuss, und hierbei ergab sich, dass, weil die Rekrutenziffer seit 1814 nicht erhöht 
worden war, ins preussische Heer eine grosse Menge verheirateter Landwehrmänner eingereiht 
werden musste, während Tausende wehrfähiger junger Leute, weil sie nicht ausgehoben worden 
waren, auch im Kriegsfalle zunächst frei ausgingen. Diese Erfahrung bestimmte den Regenten den 
Plan auszuführen, den er schon lange in der Secle trug; er liess durch den Kriegsminister Albrecht 
  
  
  
  
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.