Gottlob Egelhaay, Die Wiedergeburt des Deutschen Reiches. Der Dreibund. 267
der die französische Volksseele bestimmte. So wurde der Versuch der Spanier, mit Bismarcks Zu-
stimmung dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern die 1868 durch die Absetzung der Königin
Isabella erledigte Krone zu übertragen, in Paris als eine Massregel angesehen, durch welche Spanien
in das preussische Machtsystem einbezogen und Frankreich zwischen zwei Feuer gebracht werden
sollte. Der Kaiser Napoleon IIIl., von dem Herzog von Gramont schlecht und leidenschaftlich
beraten, verlangte von König Wilhelm, auch als Leopold von seiner Bewerbung zurückgetreten
war, Bürgschaften gegen ein erneutes Zurückkommen des Erbprinzen auf den Plan, was der König
am 13. Juli 1870 als ungehörig ablehnte. Bismarck gab der Welt von der Ablehnung durch die
sogenannte Emser Depesche Kunde. Napoleon III. erklärte unter dem Eindruck der gegen Preussen
entflammten Volksstimmung am 19. Juli 1870 den Krieg. Durch den festen Zusammenschluss
Alldeutschlands unter dem preussischen Oberbefehl und die geniale Heeresleitung des Greneral-
stabschefs v. Moltke, den eine grosse Anzahl tüchtiger Generäle unterstützten und der an dem
deutschen Heer ein unvergleichliches Kriegswerkzeug hatte, wurde zuerst das Kaiserreich (Na-
poleons Gefangennahme bei Sedan 1. und 2. September) und dann nach dessen gewaltsamem Sturz
durch eine Pariser Revolution (4. September) die dritte französische Republik niedergeworfen.
Am 28. Januar 1871 musste sıch Parıs an Wilhelm I. ergeben, der seit dem 18. Januar, nachdem
dıe süddeutschen Staaten sıch im November 1870 mit dem Norddeutschen Bund zum Deutschen
Reich vereinigt hatten, auf den Wunsch der Fürsten und freien Städte Deutschlands den Titel des
Deutschen Kaisers führte. Am 1. März zogen 30 000 Mann deutscher Truppen als Sıeger ın Parıs
ein, am 2. März genehmigte die neugewählte französische Nationalversammlung in Bordeaux den
Friedensvertrag, der am 10. Mai in Frankfurt a. M. seine endgültige Fassung erhielt. Danach trat
Frankreich das ganze Elsass ausser Belfort und von Lothringen den deutschen Teil samt Metz und
Diedenhofen an das Deutsche Reich ab und bezahlte eine Kriegsentschädigung von 5 Milliarden
Franken.
Der Krieg war von Frankreich unternommen worden, um seine Führerstellung ın Europa
wieder auizurichten und zu befestigen; sein Ergebnis war, dass Deutschland, zum Nationalstaat
geeinigt, die massgebende Rolle in Europa überkam. Gleich zu Anfang hat Kaiser Wilhelm 1.
ın seiner Änsprache an das deutsche Volk vom 18. Januar 1871 es betont, dass dıe Aufgabe des
Deutschen Reiches nicht auf dem Gebiet kriezserischer Eroberungen liegen solle, sondern auf dem
der Wahrung der Güter und Gaben des Friedens, nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.
Diese Politik hat das Deutsche Reich auch unter Wilhelm I. (18. Juni 1871 bıs 9. März 1888) unter
der kurzen Regierung seines Sohnes Friedrich (1888) und unter Kaiser Wilhelm II. (seit 15. Juni
1888) unentwegt betätigt. Frankreich dürstete zwar nach Rache für die erlittene Niederlage und
stellte mıt bewunderungswürdiger Spannkraft sein zerrüttetes Finanz- und Heerwesen wieder her.
Deutschland entwickelte aber ebenfalls seine Verteidigungsmittel durch Steigerung seiner Truppen-
ziffer auf je sieben Jahre (1874, 1880 und 1887) und dann auf fünf Jahre (seit 1893, wobei die zwei-
jährige Dienstzeit eingeführt wurde). 1913 ist die tatsächlich abgekommene allgemeine Wehr-
pflicht durch Mehreinstellung von 63 000 Mann wieder durchgeführt worden. Durch die Steuer-
und Zollreformen von 1879, 1906, 1909, 1912 und 1913 (,‚Wehrbeitrag‘‘) schuf sıch das Reich neuc
Grundlagen seiner Finanzen und seiner wirtschaftlichen Kraft. Der 1871 ausgebrochene ‚‚Kultur-
kampf“ Preussens mit der katholischen Kirche ward nach langen Verhandlungen mit Leo XI1l. 1887
durch Nachgeben beider Teile beendigt. Dem Anwachsen der Sozialdemokratie stellte Bismarck
zuerst ein Ausnahmegesetz vom 21. Oktober 1878, dann aber aut Grund der kaiserlichen Bot-
schaft vom 17. November 1881 eine gross und weit angelegte Sozialreform durch Versicherung
der Arbeiter gegen Unfall, Krankheit, Alter und Gebrechlichkeit entgegen. Ebenso eröffnete
er seit 1884 durch Gewinnung von Kolonien in Afrika und im stillen Ozean der steigenden Volks-
masse des Mutterlandes die dringend notwendigen überseeischen Absatzgebiete” und Bezugs-
quellen von Rohstoffen. Nach Bismarcks Sturz am 20. März 1890 wurde die Sozialreform auch auf
dem (zebiet des Arbeiterschutzes fortgesetzt (1911 Reichsversicherungsreform). Den französischen
Rachebestrebungen stellte Bismarck 1872 das sog. „Dreikaiserverhältnis‘“, ein freundschaftliches
Zusammenhalten der grossen Monarchien von Russland, Österreich und Deutschland gegen die
revolutionären Mächte, entgegen, und als dieses Verhältnis unter der Einwirkung des russısch-